Ausgewählter Beitrag
Phantomschmerz
Ich war gerade mehrere Stunden beim Zahnarzt und es war eine wirklich unangenehme Sitzung unter erschwerten Bedingungen, aber nichts von alledem beschäftigt mich gerade, sondern es geht um einen anderen Umstand: Ich habe das erste Mal ganz bewusst das Echo einer Panikattacke durchlebt, die gar keine war. Herzschlag, Atmung, alles unauffällig, der Neocortex voll aktiv und trotzdem pumpte in den Tiefen meines Seins etwas vor sich hin. Und das Faszinierende daran ist: Ich hatte das Gefühl, ich MUSS jetzt eine Panikattacke haben, weil das schon immer so war. Das Ausbleiben der Angst erzeugte wiederum Angst und so geriet ich kurz in eine Schleife von Gefühl, in der ich nicht mehr sagen konnte, wo die Erinnerung endete und die Realität begann. Es hallte als dumpfes Pochen in mir nach, aber da war niemand, der gerade wirklich ein Problem hatte. Im Gegenteil. Ich hatte keine Alpträume, ich habe gut geschlafen, wie ich das schon seit längerer Zeit vor Zahnarztterminen schaffe, ich hatte keine Schweißausbrüche, keine Atemnot, keine Flashbacks, nichts. Wir waren heute Morgen sehr versammelt und gut aufgestellt, trotz des seltsamen Starts in den Tag, der allein mich schon außer Gefecht hätte setzen sollen, es aber nicht tat. Und trotzdem war da ein Phantomschmerz aus vergangenen Zeiten, der um der Anerkennung willen beachtet werden wollte. Ich habe aufmerksam in mich hineingehorcht und da war keine Angst. Keine Bedenken. Nichts. Ich vertraue diesem Arzt und das letzte Jahr hat gezeigt, dass alle meine Grenzen geachtet werden. Auch die Unsichtbaren. Die, die nur in meinem Kopf existieren. Das Grauen, das er nicht kennt und trotzdem fühlt, dass es mich von Zeit zu Zeit so sehr lähmt, dass eine Behandlung unmöglich wird. All das auf hochprofessioneller Ebene, auf dem neuesten Stand der Technik und als Arzt, der vor ihm schon allein aufgrund seines jungen Alters für mich nie in Frage gekommen wäre, weil auch seine Jugendlichkeit Unangenehmes hochholt.
Ich habe mein Erleben transformiert und mir fehlen die Worte für die unermessliche Größe dieser Leistung, dieses Sieges über meine Amygdala. Ich habe das gemacht. Ich habe mich all diesen Situationen ausgesetzt, auch als die Schmerzen schon längst verschwunden waren und ich es hätte schleifen lassen können, wie so oft in der Vergangenheit. Habe ich aber nicht. Ich bin in den Zweikampf mit dieser meiner Nemesis gegangen, freiwillig. Und ich habe triumphiert.