Ausgewählter Beitrag
Geburtstag
Vor einigen Tagen jährte sich der Geburtstag meiner Mutter. Und wie mit allen Dingen, die zwar in Erinnerung sind, aber nie ins psychologisch analytische Bewusstsein vordringen durften, sprang mich dieser Tag auf mehreren Ebenen besonders an. Der Geburtstag meiner Mutter war das ungeliebte Stiefkind in der Reihe der Familiengeburtstage. Ende November, im trüben Grau als Vorbote einer hektischen Weihnachtszeit, ungebeten, ungelegen, ungewünscht.
Meinem Vater war es im Grunde egal, wie so viele Dinge - was zählte, war nur der Anschein.
Also musste ich mich kümmern, "damit sie nicht traurig" ist. Ich musste Kuchen backen, ich musste Geschenke besorgen - in seinem Namen natürlich - ich musste das Haus aufräumen, ich musste dafür sorgen, dass dieser Tag zumindest vordergründig gut über die Bühne ging.
Ihre größte Sorge war jedes Jahr, dass sie Geschenke "in Weihnachtspapier" bekommt, denn früher gab es zu dieser Jahreszeit nur noch Weihnachtsgeschenkpapier und da hatte sie wohl immer das Gefühl, sie war es nicht "wert", dass man den Geburtstag trotz der Nähe zu Weihnachten wie einen Geburtstag behandelt.
Auch hier musste ich dafür sorgen, dass keiner verletzt, brüskiert, enttäuscht wurde.
Ich sah zu, wie sie die Geschenke meines Vaters auspackte und sich freute, dass er genau wusste, was sie sich über das Jahr gewünscht hatte, dass er wusste, mit welchen Büchern sie im Buchladen geliebäugelt hatte, dass er wieder ihr Lieblingsparfum besorgt hatte.
Und ich sah zu, wie die Beziehung der beiden für einen kurzen Augenblick flüchtig aufleuchtete und nahm an, dass das wohl Entschädigung genug war, dass ich mich mit diesen Dingen so abgemüht hatte. Mein Selbstgebasteltes war keiner weiteren Erwähnung wert, aber zumindest gab es an diesem Tag nur wenig Gemeinheiten darüber, wie fett und ungepflegt sie geworden ist, wie dumm, wie krank, wie behindert, dass sie früher attraktiver war, dass andere Frauen größere Brüste, schönere Körper, mehr Freude am Leben hätten, dass sie nicht so viel Kuchen fressen soll...
Und da es vornehmlich meine Aufgabe war, in diesem Haushalt dafür zu sorgen, dass alle Erwachsenen ihre Gefühle regulieren konnten, war das mein Gewinn. Immerhin dafür war ich wichtig.
Ich beginne erst langsam, mich auch innerlich nachhaltig von diesen Strukturen und Überzeugungen zu lösen, aber ich tue es.