Ausgewählter Beitrag

Vier

Vier Wochen. Vier. Das ist doch Irrsinn. Du bist tot, dein Haus ist ein Tatort, ich habe keine Ahnung, wo dein Leichnam inzwischen ist, ich kenne weder Todesursache noch Todeszeitpunkt, ich schwebe im Nichts und wenn ich nicht jeden Tag aufstehe und meinen Alltag abreiße, dann werde ich vermutlich einfach wahnsinnig. Ich kann nichts durchdenken, weil da nichts ist. Alles ist unklar. Ich kann nichts fühlen, weil ich weder jemanden habe, dem ich Fragen stellen könnte noch jemanden, der mir Antworten liefern würde.

Zwischenzeit.
Zwielicht.
In der Seele.

Meine Wut ist da. Sie lauert. Ich merke, wie mich der Dauerschmerz im Kiefer seit dreieinhalb Wochen mürbe macht. Merke, wie nah ich der Grenze komme. Versuche, mit ausreichend Pausen, Schlaf und Rückzug nicht ins Gefühl zu rutschen, nicht zu explodieren, nicht herumzuschreien, nicht zu verzweifeln. Es fände kein Echo. Da ist nichts, was mir antworten würde.

Anhörung Mitte September, dann noch mal vier Wochen Bearbeitung zum endgültigen Termin, dann ist Oktober, dann noch mal Bürokratie, dann vielleicht… wenn alles seinen Gang geht…
Wie soll ich etwas abschließen, von dem mir die losen Enden nicht mal bekannt sind?
Wir können nicht mal dein Scheißadressbuch aus dem Haus holen, um die Leute über deinen Tod zu informieren, bei denen du dir das gewünscht hast.
Nicht mal dein verficktes Adressbuch, verstehst du?
Nein, natürlich nicht. Du bist tot. Irgendwo im Nirgendwo.
Ohne Glauben, ohne Hoffnung, ohne Abschied bist du aus dieser Welt gegangen.

Ich merke, wie ich mit jedem Wort schon wieder wütender werde. Suizid ist ein Menschenrecht. Ich werde das niemals in Frage stellen. Und ich finde gerade alles daran kacke. Alles. Was, wenn Kjell an diesem Tag seine Kinder dabeigehabt hätte? Deine Patenenkel? Was, wenn die Kinder dich gefunden hätten? Was, wenn er erst Tage später gekommen wäre? Du lebst da mit Wildtieren mitten im Wald. Meine Fresse. Ich bin so wütend - auf alles. Auf alles.

Und ich soll jetzt den einzigen Mann anrufen, den du für diesen Schritt um Verzeihung gebeten hast und ich schaffe es einfach nicht. Es frisst mich auf. Ich will meine letzten Worte, ich will meinen Abschiedsbrief, ich will meinen verdammten Abschluss.

Stattdessen spiele ich dein letztes Spiel gegen mich selber in den seelischen Untiefen meiner Vergangenheit.
Ich bin am Ende.
Ganz allumfassend.
Also mache ich das Einzige, das in meinem Leben immer funktioniert hat.
Weiter.

Kati 17.08.2022, 10.21

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Evelyn Springer

Es tut mir alles sehr leid für dich! Viel Kraft und Geduld alles zu überstehen! Alles Liebe?

vom 17.08.2022, 12.07



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


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