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Weiter.

Ich sitze im Garten unter dem Regenschirm und versuche, mich in die Dunkelheit fallen zu lassen. Nasskalte Luft einzuatmen, immer ein und wieder aus.
Der Brechreiz ist unerträglich.
Ich kann das.
Ein und wieder aus.
Ich versuche, das Migränemedikament drin zu behalten und in meinem Gehirn kreisen chemische Zusammensetzungen von Medikamenten und Giftstoffen und Beipackzettel und Obduktionsbericht.
Ein.
Und wieder aus.
Ich kann das.
Ich versuche, meine Gedanken zuzulassen, aber nicht festzuhalten. Alles im Fluss. Spüre, wie mein Magen sich zusammenkrampft. Er ist eine faszinierende Sache, unser Geist, selbst in solchen Momenten.

Der große Bärenkopf auf meinem Schoß wird schwerer und schwerer. Der Druck wird höher, intensiver - hallo, hier bin ich, bleib auch du bei mir. Das hat er schon als Baby gemacht und nun als erwachsener Rüde hat er die Reife und Erfahrung hinzugewonnen, zu wissen, ob das reicht, oder ob er mich anders zurückholen muss. Ich würge. Er entscheidet sich, meine Haut unter der Hose zwischen seine Zähne zu nehmen und sacht daran zu knibbeln. Feine Nadelstiche, Schmerz, der mich durchflutet, aber auf die gute Art. Die, die zeigt, dass man lebendig ist, ohne davon zerrissen zu werden.

Einatmen.
Ausatmen.
Ich lege die Hand auf seinen Kopf und er brummt bestätigend.
Das habe ich wohl gut gemacht.
Immerhin.

Die Kinder sind inzwischen wach und geistern durchs Erdgeschoss. Zwei Köpfe erscheinen in der Haustür und fragen, wie es mir geht, ob ich Kopfschmerzen und Zyklus habe. Ich bejahe. Man bringt mir einen Kakao und eine Pizzaschnecke.

Hier ist Liebe.
Ich bin nicht allein.

Ich sitze nicht in Schweden auf einer Veranda und habe mich vergiftet, ich bin zuhause und habe eine angemessene Dosis von einem Schmerzmittel genommen, das ich vertrage und werde irgendwann sterben, aber nicht jetzt.

Der braune Bär vor mir wedelt inzwischen, ich bin wieder da.
Ich schiebe ihm die Pizzaschnecke in die Schnute und stehe auf.

Weiter.

Kati 12.01.2023, 07.58

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Kommentare zu diesem Beitrag

1. von Glücksblasenpflaster

Wenn hier wirklich nur ein Fragezeichen angekommen ist: es ist eigentlich ein grünes Herz. Ein Herz der Hoffnung, das für eine gute Zukunft steht. (Du hast tolle Kinder und einen ebenso tollen Hund.)

vom 12.01.2023, 10.42



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


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