
Heute ist er wieder da. Ich sehe ihn häufig. Er macht dasselbe wie ich, wenn ich auf dem Supermarktparkplatz stehe. Er sitzt im Auto, spielt am Handy, frühstückt, ruht sich aus. Ein Moment der absoluten Ruhe, wenn draußen das Chaos tobt. Eine Oase, die jeden Tag für einen kurzen Moment verfügbar ist.
Dünn ist er geworden.
Noch dünner.
Eingefallene Wangen, traurige Augen.
Er wird gerade seine drei Kinder in Schule und Kindergarten gebracht haben, so wie jeden Tag. Später wird er zur Arbeit fahren. Wie jeden Tag. Irgendwann nachmittags muss er wieder nach Hause. Die Kinder von der Schwiegermutter abholen, die sich um sie kümmert, wenn Schule und Kindergarten aus sind. Und dann wird zuhause seine Frau auf ihn warten.
Die Depression auch. Die Krankheit. Der Tod seines zweiten Kindes. Ihre psychischen Erkrankungen. Ihre Wut. Ihre Trauer. Ich kenne sie gut und bin froh, dass ich inzwischen keinen Kontakt mehr habe.
Ich habe ihre Tränen gesehen. Und seine Blutergüsse. Ihre unbändige, unkontrollierte Wut. Ein schwarzer destruktiver Strudel aus Dunkelheit und Intensität. Meine Mauern waren zu meinem eigenen Schutz immer ganz oben, wenn ich mit ihr umgehen musste.
Ich warte.
Er sieht mich nicht und blickt sich von Zeit zu Zeit suchend um.
Es vergehen fünf, zehn Minuten.
Und ich warte.
Auf diesen einen Moment, den ich inzwischen schon so oft gesehen habe.
Wenn sein Gesicht sich aufhellt und alle Traurigkeit einem sanften Lächeln weicht, das herzzerreißender nicht sein könnte. Sie öffnet die Beifahrertür und setzt sich neben ihn. Küsst ihn zärtlich auf den Mund. Lange. Streichelt seine Wangen, sein Gesicht. Fährt durch seine Haare. Es ist keine Leidenschaft.
Nur unendliche Zärtlichkeit und Liebe. Wissen.
Ich gehe einkaufen und als ich wiederkomme und meine Sachen einlade, sitzen sie dort immer noch. Ihr Kopf lehnt an seiner Schulter, während er redet. Sie lächelt. Er auch.
Wie jedes Mal denke ich an meinen Lieblingswunsch:
"Möge der erste Sonnenstrahl des Tages heute das Auge des traurigsten Menschen treffen, den ich kenne."
Und ich glaube, das tat er.
Ich kann so viel aus diesen Worten lesen. Ich habe auch ein Kind verloren, im siebten Monat schwanger, eine Frühgeburt. Dieser Hass, diese Wut, dieses Unverständnis.
Und ich bin sehr dankbar, dass die Sonnenstrahlen des Lebens mich nicht in die dauerhafte Depression ziehen konnten. Viel zu oft vergesse ich das inzwischen im Alltagstrubel mit den normalen, aber eigentlich so unwichtigen Sorgen.
Danke fürs Erinnern. Und Danke für Deine so wunderschön gesetzten Worte.
vom 25.09.2019, 09.52