Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Azeroth

Vom Gras in Azeroth

Ich war vor 15 Jahren der Vergelterpaladin in Lederrüstung mit Schwert und Schild.
Der, der Beweglichkeit als Mainstat hatte, weil das irgendwie cool klang. Mit einer kleinen Intelligenzverzauberung, weil Intelligenz ja nicht so verkehrt sein konnte.
Der, über den man sich sehr oft lustig gemacht hat, weil er falsch geskillt war. Der, dem man mit jedem (Rat)Schlag ja „nur helfen wollte, damit er endlich besser spielt“.

Nach einigen Jahren kam der Punkt, an dem ich mich fragte, warum einige Dinge nicht gingen und wie ich das eventuell verändern kann.
Und vor diesem Punkt drang kein Ratschlag zu mir durch.
Weil man die Entwicklung von Menschen nicht beschleunigen kann.
Niemals.

Ich nehme diese Erkenntnis für mich genauso in Anspruch wie ich sie für andere verteidige.
In meiner Gilde sind Menschen willkommen, keine gut gespielten Avatare. Es geht niemals um Leistung oder Wettbewerb, es geht immer um den Menschen. Es gibt keine Rollen, die „benötigt“ werden, es gibt keine Vorgaben, wie man seine Zeit im Spiel verbringt, es ist verdammt noch mal Freizeit. Und ich habe so gut wie jedem Mitspieler der Gilde vor der Einladung die gleiche Antwort gegeben: Es gibt keinen Zwang.

Die Jagdgesellschaft besteht zu einem großen Teil aus Menschen, die im täglichen Leben alles geben und auch alles geben müssen.
Menschen mit so viel Gepäck im Rucksack, dass andere darunter zusammenbrechen würden.
Menschen, die unter hohem Druck jeden Tag Außergewöhnliches leisten UND funktionieren müssen.

Azeroth ist nicht so. Azeroth ist Zuflucht.

Und wenn wir sagen, wir machen einen Gildenraid, bei dem wir gemeinsam versuchen, etwas zu erreichen, dann heißt das in letzter Konsequenz genau das: Dass wir den Vergelterpaladin mit Schwert und Schild und Beweglichkeit und Intelligenz in Lederrüstung mitnehmen, weil er genau so Teil unserer Gilde ist, wie wir ihn aufgenommen haben und den Mensch dahinter mögen. Und solange er nicht um Rat fragt, braucht er auch keinen. Sobald ER SELBER nicht mehr zufrieden ist und um Rat oder Hilfe bittet, bekommt er alles, was er möchte, zur Verfügung gestellt.

Wenn wir stattdessen einen Leistungsraid planen würden, dann stecken wir vorher die Kriterien dafür ab und kommunizieren klar und angemessen, was erwartet wird.

An Gemeinschaft selber werden keine Bedingungen gestellt. Sobald mein Wert als Mensch oder Spieler daran geknüpft ist, wie nützlich ich bin, entziehe ich mich dem.

Ich mag kompetitives Spiel. Es gibt einige wenige Spieler, an denen messe ich mich gerne und ostentativ, weil das zwischenmenschlich passt. Ich erwarte von niemandem, meinen Spielstil zu mögen und kritisiere im Gegenzug auch niemanden für seinen. Wenn ich höre, dass ich zu viel herumkaspere, dann nehme ich das zum Anlass, lieber mit Gruppen zu gehen, die ähnliche Vorstellungen von einer gut verbrachten Zeit haben wie ich oder mich mittragen, so wie ich ihre Eigenarten mittrage.

Denn es ist ganz natürlich, dass es dazu kommt, dass Menschen unterschiedliche Zielvorstellungen entwickeln. Dass ihr Anspruch an Dinge steigt, die für andere vielleicht gar nicht wichtig sind.

Die Jagdgesellschaft besteht aus Menschen, die seit fast 20 Jahren raiden und aus solchen, die fragen, wie man das Zauberbuch öffnet und jenen, die sich irgendwo dazwischen bewegen. Dass es aufgrund dessen Diskrepanzen in der Spielweise gibt, ist in meinen Augen nicht erwähnenswert oder gar diskussionswürdig. Denn auch hier gilt: Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht. Und nicht jeder Golfrasen möchte die Höhe von Pampasgras erreichen.

Sobald also Spieler mehr erreichen wollen, als es gildenintern zu diesem Zeitpunkt möglich ist, steht ihnen die Welt offen, sich für das Erreichen dieser Ziele Gleichgesinnte zu suchen. Gründet eine gildeninterne oder gilden/extern gemischte Progressraidgruppe oder tretet einer bei - ich unterstütze das von ganzem Herzen mit allem, was ich habe und freue mich über jeden Erfolg, jeden gelegten Raidboss, jede Meldung im Gildenchat.

Ich bin die, die mit PomPoms vor dem Raideingang steht und euch zujubelt, weil es ganz großartig ist, wenn Menschen sich Ziele setzen und dafür kämpfen, sie zu erreichen.
Go for it!

Was wir allerdings in der Jagdgesellschaft niemals tun: Menschen ausschließen, weil sie sich den Ansprüchen Anderer nicht unterordnen können oder wollen.
Egal, wie ihre Gründe sind.

In den letzten Tagen haben mir einige Menschen geschrieben, dass sie gerade beginnen, ingame genau diesen Druck fühlen, der im realen Leben auf ihnen lastet und in aller Deutlichkeit: Es gibt keinen Grund dafür.

Eine Kette ist vielleicht nur so stark wie ihr vermeintlich schwächstes Glied.
Aber eine Gemeinschaft ist keine Kette.
Eine Gemeinschaft lässt Raum für Stärken und Unterschiede
Eine Gemeinschaft ermöglicht tragen und getragen werden.

Das ist, wie ich lebe.
Das ist, wie ich spiele.

Kati 16.01.2023, 10.21 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Parallelwelten

In meiner Freizeit spiele ich ein MMORPG, dem mein ganzes Herz gehört - seit nunmehr über 12 Jahren.

Angefangen alleine, dann mit dem Mann gespielt, dann eine Gilde gegründet.
Mit Internetzmenschen.
Bis es irgendwann eskaliert ist, ich von einem auf den anderen Tag den Account gelöscht und einen Neuen erstellt habe, auf dem mich niemand findet.
Viele Jahre vergingen und zumindest ich hütete dieses Geheimnis meiner Zufluchtswelt, in der alles bunt ist, auch wenn meine Welt in Dunkelheit versinkt.
Jahre, in denen ich ausschließlich alleine oder mal mit dem Mann spielte. Gruppen nur mit fremden Spielern bildete, die ich nie wiedersehen würde.
Dann kam eine sehr lange Verletzungspause, in der ich so gut wie gar nicht spielen konnte, weil mein Körper streikte.

Seit einigen Monaten ist alles anders.
Da sind wunderbar liebenswerte Menschen aus Blogs und aus Twitter und aus meiner Vergangenheit, die sich alle bei uns versammelt haben, um mit uns zu spielen.
Irgendwie hat das sehr schnell Fahrt aufgenommen und setzt sich erst langsam.
Und was ich merke: Ich stehe vor demselben Problem wie schon vor 9 Jahren. Menschen.
Vor 9 Jahren wurde ich - wannimmer ich im Spiel eingeloggt war - angeflüstert, ob ich denn gar keinen Haushalt zu erledigen hätte, wer sich denn um meine Kinder kümmern würde, ob mein Mann wüsste, wie viel ich spiele... ein absolut übergriffiges Verhalten.
Am Abend war ich dann wieder gut genug dafür, Menschen durch Instanzen zu ziehen, ihnen Taschen oder sonstiges zu schenken oder andere Dinge zu tun, während gleichzeitig versucht wurde, hinter meinem Rücken meinen Mann anzugraben und vornerum unschuldig zu tun. Seitenhiebe inklusive.

Das staute sich über Monate hinweg in mir, bis ich dann an einem Tag einfach implodiert bin, alle Spieler aus der Gilde geworfen, einen kurzen Abschiedsbrief verfasst habe, weg war und nie wieder darüber geredet habe. Das hat leider auch die getroffen, die gar nicht so waren. Aber ich konnte einfach nicht mehr.

In der darauffolgenden Zeit musste ich erst wieder lernen, das Spiel zu lieben, das mir so viel bedeutet. Erst als der Stress wegfiel, merkte ich, wie sehr mich der Umgang mit diesen Menschen aufgerieben hat.
Heute ist vieles anders.
Ich bin nicht mehr dieselbe wie vor 9 Jahren.
Ich bin eine Andere.
Und ich kann anders auf diese Dinge reagieren, mit denen ich konfrontiert werde.

Ich spiele, wann und wieviel ich will.
Mein Leben, meine Regeln.
Ich spiele einen Großteil dieses Spiels als Wirtschaftssimulation und bin entsprechend lange auch einfach nur online, um nebenher von Zeit zu Zeit mal ins Auktionshaus zu sehen. Ich muss niemandem darüber Rechenschaft ablegen.
Ich arbeite im Spiel für mein Gold. Ich bin niemandem etwas schuldig. Kein Gold, keine Gegenstände, nichts.
Wer Geschenke erwartet oder neidisch darauf ist, wenn ich jemand anderem etwas schenke, der hat selber ein gewaltiges Problem.
Ich entscheide, für wen ich mein Gold ausgebe, mit wem ich meine Freizeit verbringe, für wen ich etwas tue. 

Ein besonderer Punkt: Freizeit. Es ist meine Freizeit. Auch wenn viele Menschen es nicht glauben oder mir gerne unter die Nase reiben, dass sie im Gegensatz zu mir ja ach so früh aufstehen und arbeiten müssten, es ist meine Freizeit und davon habe ich nicht allzu viel.
Wenn ich im Spiel eingeloggt bin, bin ich darum nicht einfach verfügbar.
Ich möchte genauso gefragt werden wie jeder andere auch.
Wenn ich etwas tue, fühle ich mich nicht verpflichtet, alle Spieler, die online sind, mitzunehmen. Ich bin kein Reiseunternehmen. Ich spiele gerne mit anderen zusammen, aber ich muss mir deswegen weder Seitenhiebe noch blöde Bemerkungen noch passiv aggressive Vorwürfe anhören, wenn sich jemand ausgegrenzt fühlt, nur weil ihm nicht der Hintern hinterhergetragen wird. 

Wir sind alle erwachsen, jeder ist für seinen Spaß selbst verantwortlich.

Jeder spielt anders.
Ich spiele gerne nach dem Leistungsprinzip.
Ich mag auch chillige Runs und wipen ist nicht mein Problem, wenn der Rahmen klar ist.

Wenn ich aber auf der einen Seite nach jedem Kampf gerne warte, bis jeder sein Spielzeug ausgepackt, sein Tier gewechselt, drei Screenshots gemacht und seine Ausrüstung andersrum angezogen hat, dann erwarte ich auf der anderen Seite auch, dass akzeptiert wird, dass ich durchaus abschätzen kann, dass Menschen, die sich weder um Bufffood, Stärkungszauber, Fläschchen Spielmechaniken, Bosstaktiken und Co. kümmern und Instanzen nur als netten Ausflug einer vor sich hinstolpernden Ansammlung von Gelegenheitsspielern betrachten, im Endcontent nichts zu suchen haben, ich ihn aber trotzdem spielen möchte.
Nur dann eben ohne sie.
Die Vorwürfe dazu kann jeder dort stecken lassen, wo sie hingehören.

Es ist wie im wahren Leben: Wer immer nur alles geschenkt bekommen will, ohne auch nur ansatzweise etwas dafür zu tun, der wird unweigerlich enttäuscht werden.

Ich liebe meine Mitspieler und ich schätze ihre Unterschiedlichkeit und auch ihre Andersartigkeit, wenngleich ich viele Verhaltensweisen und Befindlichkeiten auch nicht nachvollziehen kann.
Aber das muss ich ja auch gar nicht.

Respekt reicht in den allermeisten Fällen völlig aus.

Am dicken Fell werde ich auch weiterhin arbeiten, denn es ist mein Spiel und es ist meine geliebte bunte Welt.
Die lasse ich mir kein zweites Mal kaputt machen.

Kati 19.01.2021, 15.00 | (2/1) Kommentare (RSS) | PL



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

woanders:







Einträge ges.: 363
ø pro Tag: 0,1
Kommentare: 437
ø pro Eintrag: 1,2
Online seit dem: 21.04.2016
in Tagen: 3019

Do what is right. Not what is easy.
you want. It doesn't matter anyway.