Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Briefe

11 Jahre

Heute vor 11 Jahren habe ich dich geboren.

Heute vor 11 Jahren bist du gestorben.

Ich weiß noch, wie ich mittags nach Hause kam.
Ich spürte das charakteristische Gefühl im Unterbauch, das nur eine reißende Fruchtblase verursachen kann.

Ich rief deinen Vater an, dass er bitte ebenfalls nach Hause kommen solle, mir wäre gerade die Fruchtblase geplatzt.

Für den Herzschlag einer Ewigkeit freute ich mich - die Geburt würde losgehen.
Ich würde ein Baby bekommen.
Unser Baby.
So sehr gewünscht.

Bis der Kopf realisierte, dass dieses Reißen der Fruchtblase dein Todesurteil sein würde.
Deine beiden großen Geschwister hielt ich auf meinem Schoß und sang mit ihnen alle Lieder der "Anne Kaffeekanne"-CD durch.
Ich habe diese Lieder seit 11 Jahren aus dieser Familie verbannt.
Es ist mir nicht mehr möglich, sie zu hören.
Nie wieder.
Es tut einfach zu weh.

Ich schaukelte das große Tochterkind und den Kobold und sang und wartete darauf, dass der Mann nach Hause käme.
Irgendwo zwischen Hoffen und Bangen und Leugnen.

Zwei Tage zuvor erst hatte ich das Gefühl, es wäre etwas mit dir nicht in Ordnung.
Ich hatte das Gefühl, es stimmte etwas ganz und gar nicht.
Ich war bei meinem Frauenarzt.
Das CTG war prima.
Deine Tritte spürte ich ebenfalls.
Der Ultraschall zeigte dich, fröhlich umherrudernd.
Strampelnd.
Das Herz kräftig schlagend.
Ich ging wieder nach Hause.
Mit dem furchtbaren Gefühl, dass irgendetwas überhaupt nicht in Ordnung war.

Kurz nachdem der Mann zuhause ankam, hielt ich dich auf meiner Hand.
So winzig.
So perfekt.
So tot.

Alles war voller Blut.
Ich war in Panik.
Ich weiß nicht mehr, womit dein Vater die anderen Kinder abgelenkt hatte, aber alles, woran ich mich erinnere, ist, dass er wie ein riesiger Schild um mich herum war.

Ich sah nur noch dich, hörte nichts mehr.

Der Mann hielt mich.
Lange.
Fest umfangen.
Das ist das vorherrschende Gefühl, das ich heute habe, wenn ich an diesen Tag zurückdenke.
Die Festigkeit seiner Umarmung.
Das Gefühl von Schutz, das verhinderte, dass ich in meiner Verzweiflung ertrinke.

Irgendwann ging ich durch den langen Flur ins Badezimmer und hinterließ große Blutlachen und blutige Fußabdrücke.
Als ich aus der Dusche kam, war davon nichts mehr zu sehen.

Ich hatte Schmerzen.
Nachwehen.
Wir fuhren zum Arzt.
Wir fuhren ins Krankenhaus.
Wir warteten.

Mit einem toten Kind in einer Tasche.

Irgendwann war ich es leid, inmitten von starken Nachwehen mit meinem toten Kind und zwei kleinen Kindern in der Notaufnahme eines Krankenhauses auf eine Ausschabung zu warten.

Ich ging.

Nach Hause.

Ich bin heute noch sehr dankbar für den Weg, den das Schicksal für mich bereithielt.
Zuhause konnte mein Körper die Arbeit tun, für die er geschaffen wurde und heilen.

Du wogst zu wenig, um dich zu beerdigen.
Du wogst zu wenig, als dass wir dir einen Namen hätten geben dürfen.
Du wogst zu wenig, als dass anerkannt worden wäre, dass du existiert hast.

Ich habe dich so lange Wochen getragen und jeden Tag deine Bewegung gespürt und es war plötzlich, als hätte es all das niemals gegeben.
Das war das Schwerste.
Die Wochen und Monate danach waren schwarz.
So dunkel in meiner Erinnerung.
Nur der Mann hat dort seinen Platz als Fels in der Brandung vor einem Meer aus Tränen.

Vor einigen Jahren hat sich die Gesetzgebung geändert und so sind wir vor zwei Jahren mit klopfendem Herzen und einem Mutterpass in der Hand auf unser Standesamt gegangen.
Seit diesem Tag haben wir eine offizielle Urkunde.
Mit deinem Geburts- und Sterbedatum.
Mit deinen Namen für dich, für unser Kind.

Der Beweis, dass du da warst.
Hier bei uns, auf dieser Welt.
Gewollt, geliebt, geboren, gestorben.

Und heute ist es in Ordnung, so wie es ist.

Ich hätte dich so gerne kennengelernt.

Du fehlst uns.

Kati 28.09.2017, 12.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Mein geliebter Held,

als ich noch klein war, da hast du immer gesagt:

"Wenn Oma mal tot ist und ich ganz alt bin, dann komme ich zu dir. Du kümmerst dich dann um mich."


Und ich sagte jedesmal: "Na klar. Aber jetzt bist du ja noch fit!"

Dann nicktest du und deine großen Pranken schlossen sich wieder sanft um mich.

Jetzt ist 30 Jahre später, Opa.

Du hast dein Versprechen gebrochen.
Du hast gesagt, du stirbst nicht, bevor ich nicht bereit dafür bin.
Und du bist als erstes gestorben.

Oma wohnt jetzt hier.

Als wir vor fünf Monaten die Entscheidung getroffen haben, sie zum Sterben zu uns zu holen, da war es auch der Tribut an dich, der mir diesen Weg so leicht machte.

Ich glaube nicht, dass du Oma allein lassen wolltest.
Aber du bist eben auch schon 8 Jahre tot.

Also beschloss ich, dass ich nun für sie da sein würde.

Sie lag in den letzten Zügen. Hat sich verabschiedet.
Und ja, ihre letzten Tage sollte sie nicht in diesem tristen Heimzimmer verbringen, in dem sie seit einigen Jahren lebte und seit Ende letzten Jahres nur noch vor sich hinvegetierte.
Eine Begleitung auf den letzten Metern. Absehbar.

Das ist nun vier Monate her und ich weiß inzwischen gar nicht so recht, wer hier mit uns lebt.

Es ist nicht die Oma, die ich von früher kenne.
Es ist auch nicht die Oma, mit der du verheiratet warst.
Der wir beide so viele Schandtaten beichten mussten, die meine Kindheit so bunt gemacht haben.

Ich unterhalte mich manchmal mit ihr über dich, aber es scheint, als hätten wir nicht denselben Menschen gekannt.
Als wäre nur ich da, die dich so abgöttisch geliebt hat.
Sie hat es nicht getan.
Wenn sie über dich spricht, zerreißt es mir mein Herz. Das bist nicht du.
Den Mann, der du für mich warst, den kennt sie nicht.

Es ist gerade schwer für mich.

Kati 15.07.2017, 12.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Gute Reise

Ach, ich habe so lange überlegt, was ich dir schreiben soll.
Ob ich dir schreiben soll.
Ich habe mich dagegen entschieden.
Du warst mir auf den ersten Blick sympathisch.
Ich dir nicht.
Jetzt ziehst du weg.
Ich bin in deinem neuen Zuhause nicht willkommen.

Vielleicht hören wir uns noch einmal.
Vielleicht auch nicht.
Es ist ja nicht so, dass du jemals etwas über mich wissen wolltest.
Nimm die Lügen, die du über mich geglaubt hast, mit.
Es ist wie es ist.
Ich wünsche dir von ganzem Herzen, dass du dort glücklich wirst.
Leb wohl.

Kati 23.09.2016, 18.00 | (0/0) Kommentare | PL

You'll never walk alone...

Es ist ein wunderschöner Tag heute.
Kalt, sonnig.
Strahlend blauer Himmel.

Heute ist deine Beerdigung.

Wo ich meine Kinder gerade mit einem Kuss, einer Umarmung und einem Ich liebe euch verabschiedet habe, stehen deine Kinder heute ein achtes Mal ohne Mutter auf.

Ich wünschte... Ich wünschte vor allem, dass du mehr Zeit gehabt hättest.
Egal, was war.
Das ist ein Gedanke, der mich die zweieinhalb Jahre, die du nun gekämpft hast, nie losließ.

Ich wünschte, du hättest deine Kinder ins Erwachsensein begleiten können.
Ich wünschte, du hättest mehr Zeit gehabt.

Und ich wünschte, ich könnte mehr Verständnis für deine Entscheidungen aufbringen.

...don't be afraid of the dark.

Machs gut.

Kati 21.04.2016, 07.00 | (0/0) Kommentare | PL




Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


woanders:




















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