Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Vom Leben und Sterben

Fassungslos

Ich sehe immer noch jeden Tag auf deine Seiten.
Immer und immer wieder.
Es ist 7 Jahre her, dass wir uns voneinander gelöst haben.
Es war unschön. Sehr. Es ist viel passiert.
Das Jahr, das ich mit dir verbracht habe, war eines der intensivsten meines Lebens.
Ich habe dich so sehr geliebt. Vergöttert.
Unendlich begeistert, dass ich tatsächlich einen Gleichen gefunden hatte.
Niemals hätte ich das für möglich gehalten.

Wir haben uns gestützt. Hochgeholfen.
Und wehgetan. So furchtbar weh.
Meine Computerdateien zeugen von diesem Jahr.
Da sind nämlich keine.
Kaum Fotos, keine Blogeinträge, nur der Austausch mit dir. Das war alles, was zählte. Ich habe dir so viel zu verdanken. So.verdammt.viel.
Du warst ein Ausnahmemensch, nicht nur für mich.
Und du hast schwer an deiner Last getragen.

"Ich weiß, dass ich früh sterben werde."

Das ist ein Satz, der mich nie mehr losgelassen hat.
Ich habe ihn abgetan, ich konnte das nicht gut annehmen.
Und du hast ihn wiederholt. Eindringlicher.
 "Ich weiß, dass ich früh sterben werde."
Es war dir bitterernst.
Du hast mir von deinem Mann erzählt, der schon einmal seine Frau gehen lassen musste. Und dass du alles nur Menschenmögliche tun würdest, damit diese Geschichte sich nicht wiederholen würde.

Es ist dir nicht gelungen.

Und es lässt mich fassungslos zurück, wie das Leben so ungerecht sein kann.
Immer wieder.

Die vielleicht bitterste Erkenntnis des Lebens ist, dass nicht alle Geschichten gut enden.
Egal, woran wir glauben.
Egal, wie hart wir kämpfen.

Ich vermisse dich.
Seit 7 Jahren.
Seit fast zwei Monaten.
Schon immer.
Für immer

 Niemand nach dir, habe ich dir damals versprochen und das fällt mir leicht.
Du bist und warst einzigartig.

Kati 31.10.2017, 15.34 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Zwei Monate

Es ist zwei Monate her, dass wir den letzten Atemzug von Uroma begleitet haben.

Vieles ist leichter geworden seitdem.

Mein Alltag, vor allem. Ich kann wieder atmen, ich habe wieder Luft.

Vermisse ich dich, Oma? Ich weiß es nicht.

Ich hätte mir nie vorstellen können, was Pflege am Rand der Erschöpfung mit Beziehungen machen kann.

Das arbeitet noch in mir.

Kati 04.10.2017, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Der letzte Atemzug

Es ist heute genau 14 Tage her, dass ich wie jeden Morgen in Uromas Zimmer getreten bin und gehorcht habe, ob das "Gute Nacht, Oma, schlaf gut." am Abend zuvor das Letzte gewesen war.

"Einfach einschlafen und sterben!", war immer genau das, was sie wollte.
Und wie jeden Morgen dieser Tage hoffte ich, dass sie es endlich geschafft haben würde.

Heute war der 7. Tag ohne Flüssigkeit.

Sie schnurchte vor sich hin. Wie jeden Morgen.

Ich begann meine Morgenroutine und die Kinder tropften nach und nach ins Erdgeschoss

"Wie geht es Uroma?", fragten nacheinander 6 Kinder.

- "Unverändert.", war 6 Mal meine Antwort.

Die Tür zu Uromas Zimmer stand inzwischen immer offen, damit wir jede kleinste Äußerung von ihr auch mitbekommen würden.
Den Notfallknopf an ihrem Handgelenk konnte sie schon seit Sonntag nicht mehr drücken, den hatten wir irgendwann abgemacht.

Um 8 Uhr begann es.
Ich hatte schon viel darüber gelesen, konnte mir aber nicht wirklich etwas darunter vorstellen.

Rasselatmung.

Ich ging hinein und sofort danach entsetzt wieder aus dem Zimmer, weil ich meine eigenen Körperempfindungen kaum unter Kontrolle hatte.
Ich sammelte mich.

Das Geräusch ist kaum zu ertragen. Ich hatte permanent den Drang, mich zu räuspern, zu husten oder einfach nur weit wegzulaufen.
Es war grauenhaft.
Den Kindern ging es ähnlich.
Ich erklärte ihnen, was in Uromas Körper gerade vor sich ging.

Die Kinder räusperten sich permanent und ich sah, wie unwohl den meisten von ihnen war.

Ich erkannte recht schnell, dass sich die Fähigkeit, an Uromas Seite zu bleiben, nach ihrer Empathiefähigkeit sortierte.
Der sensible Kobold, der ohnehin über viel zu viele Spiegelneuronen verfügt, flüchtete panisch aus dem Zimmer und ich hörte ihn auch zwei Stockwerke weiter oben noch krächzen und husten.

Misstrauisch verbrachte er die nächsten Stunden im ersten Obergeschoss und fragte nur noch vom Treppenabsatz aus, ob "Oma noch so komisch atmen würde".

Der egozentrische kleine Tuk dagegen piekte Oma wie immer in die Seite und befühlte Temperatur und Konsistenz ihrer Hände. "Gutn Moaaaagn, Uaoma!". krähte er und für ihn war alles wie immer.

Es war aber nicht wie immer.

Wir begleiteten nun schon seit einer Woche das Sterben.
Der Tod war schon da.
Es würde nur noch Stunden dauern, bis er sie mitnehmen würde.

Wir waren bereit.
Lange Tage schon.
Wir hatten geweint, wir hatten getrauert, geklagt, gebeten.

Meine Tränen waren versiegt.

"Heute ist Freitag, der 4. August, Oma. Morgen wird Papa 70. Morgen."

Sie schlägt die Augen auf. Wie immer, wenn ich von ihrem Sohn redete. Mir tut es weh. Ganz elementar weh. Da ist so viel Hoffnung, so viel Sehnsucht.

"Es geht ihm gut. Er wird aber nicht hierherkommen. Du darfst gehen, Oma. Du darfst ruhig gehen. Hier ist alles in Ordnung."

Ich weiß nicht, ob sie mich hört. Sie hebt die Arme.
Atmet ruckartig ein.
Und nicht wieder aus.
Ich sehe ihre Halsschlagader pochen. Schnell. Endlose Sekunden vergehen.
Dann atmet sie wieder aus. Rasselnd.
Ich muss mich zusammenreißen, um das zu ertragen.

Der Arzt ruft wieder an.
Wie jeden Tag der vergangenen Woche.
Er erkundigt sich nach ihr, fragt, ob wir ihn brauchen, ob er etwas tun kann.
Ich verneine und schildere kurz ihre Symptome.
"Sie halten sich gut.", sagt er noch zum Abschied.

Am späten Vormittg wird Oma unruhig.

Die Atmung wird unregelmäßiger und ich hole die Kinder alle wieder runter.
Dem Mann schicke ich eine Nachricht und er packt auf der Arbeit zusammen und kommt nach Hause.

"Uroma stirbt jetzt bald.", sage ich und die Kinder stehen alle an ihrem Bett.
Ich erkläre ein weiteres Mal, dass wir nicht wissen, welcher Teil des Körpers zuerst aufhören wird zu funktionieren.
Vielleicht die Atmung.
Vielleicht auch das Herz.
Wir wissen es nicht.
Die Rasselatmung wird deutlich leiser.

Stattdessen schnappt Oma nur noch sachte nach Luft und atmet dann wieder aus.

Das Herz galoppiert an ihrem Hals wie verrückt.

Die Kinder fragen noch einmal nach, ob sie Schmerzen haben könnte, das ist ihnen das Wichtigste zu wissen.
Ich verneine.

Zeige noch einmal auf die hochdosierten Fentanyl-Pflaster auf Omas Arm, erkläre, dass sie heute Morgen erst wieder ganz viel Schmerz- und Beruhigungsmittel bekommen hat und dass sie überhaupt keine Schmerzen hat.

Ich kann nur zu Gott beten, dass das auch stimmt.

Es ist 11 Uhr.
Der Mann ist endlich da.

Die Kinder reagieren ganz unterschiedlich
Das große Zusatzkind weint.
Ganz schrecklich.
Ich weiß, dass sie hier gerade heilt.
Sie, die letztes Jahr von ihrer sterbenden Mutter weggehalten wurde und nun das erste Mal in ihrem Leben dem Tod in die Augen sehen darf.

Der Kobold flüstert leise: "Gute Reise, Uroma!"

Das Mottenkind bittet mich, die Fenster weit aufzumachen, damit Uromas Seele gut in den Himmel aufsteigen kann.
Ich erfülle ihr diesen Wunsch.
Wir öffnen im gesamten Erdgeschoss die Fenster und Türen.
Frische Luft weht durch das Zimmer und für einen Moment ist es ganz still.

"Tschüss, Uaomma!", kräht der kleine Tuk und streichelt ihre Hand.

Das große Zusatzkind ist erschöpft und möchte sich einen Moment zurückziehen.
Ich nicke und lächle ihr zu.
"Es ist alles gut.", flüstere ich. Sie nickt.

Die anderen Kinder ziehen sich ebenfalls stumm aus dem Zimmer zurück.
Leise gehen sie nach oben.

Nur das große Tochterkind bleibt dicht an meiner Seite.
Sie hat bislang nichts gesagt.
Keinen Ton.
Der Mann, sie und ich sitzen, stehen an Omas Seite.
Es ist gleich viertel nach 11 Uhr.

Omas Atmung setzt aus.
Wir beobachten die Halsschlagader.
Sie pulsiert.
Langsamer.
Nach einer Minute wieder Atmung.
Mir laufen die Tränen über das Gesicht.
Ich kann nicht mehr.
Ich kann das alles nicht mehr ertragen.

"Wir sind hier, Oma. Wir sind hier bei dir. Es ist alles gut."
Mit letzter Kraft verlassen die Worte meinen Mund.

"Du darfst gehen, Oma.", sagt der Mann leise. "Machs gut!"

Die Atmung setzt wieder aus. Ich warte. Meine Nerven sind zum Zerreißen gespannt.

Das Tochterkind weint leise. "Gute Reise, Uroma."

Wir blicken auf die pulsierende Halsschlagader.

Noch ein Herzschlag.

Noch einer.

Ruhe.

Ich schlinge die Arme um meine Tochter. Wir alle weinen.

Ein kräftiger Windstoß weht durch das Zimmer und die Bäume vor dem Haus rascheln.

Gute Reise, Oma.

Kati 18.08.2017, 11.00 | (2/1) Kommentare (RSS) | PL

Einäscherung mal anders

"Was meinsu mit: Der Gestatter nimmt Uroma gleich mit, Mami?"

Der närrische kleine Tuk steht wie ein Häufchen Elend vor mir und sieht mich entsetzt an.

Ich bin verwirrt.
"Der Bestatter kommt gleich mit starken Männern und dann packen sie Uroma ein und nehmen sie mit zum Krematorium.
Uroma muss ja auch beerdigt werden. Wir können sie nicht noch länger hierbehalten."


Ich sehe Unverständnis auf seinem Gesicht und merke, dass ich den Kernpunkt seiner Frage anscheinend nicht begriffen habe.

"Aber... Aber..!" Tränen stehen in seinen Augen.

"Butzemann. Was ist denn los?"

"Aber Uroma will doch verbrannt werden!", bricht es aus ihm heraus. Er schluchzt.

Ich sehe ihn verständnislos an.

"Ja. Deswegen kommt ja auch der Bestatter. Im Krematorium kann Uroma dann verbrannt werden."

Er wirft sich verzweifelt in meine Arme und weint.

"Aber... Ich dachte, das könnten wir hier im Garten machen!"

Kati 10.08.2017, 12.00 | (3/0) Kommentare (RSS) | PL

Gelähmt

Wir warten.

Die Wartezeit wird abwechselnd in stoischer Gelassenheit, Wut, Zweifel, Geduld und Verzweiflung begangen.

Es schmerzt, nichts tun zu können.
Es ist unerträglich, auf den Tod zu warten.
Einfach nur zu warten.

Die Marschrichtung ist klar.
Mit jeder Minute, die verstreicht, weicht mehr Leben aus ihr, doch sie ist zäh.

Sie schläft. Meistens.

Manchmal macht sie die Augen auf und blickt mich an.
Aber sie sagt nichts.
Sie reagiert nicht auf meine Bitte um ein Zeichen.
Ein Händedruck, ein Blinzeln, irgendetwas.

Ich bin wütend.
Auf eine Sterbende.

"Papa wird nicht kommen."
, habe ich ihr vor einigen Tagen weinend gesagt.
Denn das wird er nicht.
Nicht für mich und nicht für sie.
Weil er weder mich noch sie jemals geliebt hat.
Ich habe das irgendwann vor Jahren begriffen.
Sie hat die Hoffnung nie aufgegeben.

Ich bin so wütend.
Auf ihn, auf sie, auf diese Kackwelt.

Sie hat gesummt.
So wie früher, wenn sie es besser wusste.

Ich möchte sie anschreien, wie sie da liegt und so weit weg ist.
Jede Flüssigkeit verweigert, jede Kommunikation, jede Antwort.
Sie will nicht mehr auf dieser Welt sein und ich akzeptiere das.

Aber wir - wir sind noch hier.
Und wir können ihr Sterben weder beschleunigen noch verschönern.
Nur aushalten.

Ich habe mir das anders vorgestellt.

Sie vermutlich auch.

Kati 03.08.2017, 10.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Sterbewache

Ich bin unruhig.

Ich wasche Uromas Wäsche, was angesichts der Umstände völlig bescheuert ist.
Aber so wichtig für mich.
Ich räume auf, ich sortiere ihre Wäsche in den Schrank - ich habe das Gefühl, so wenigstens irgendetwas unter Kontrolle zu haben.

Um 1 Uhr nachts das letzte Horchen auf ihre Atemzüge, um 6 Uhr morgens das erste.
Sie atmet noch. Anders als gestern, anders als vorgestern.

Wir halten Sterbewache.
Abwechselnd.

Die Kinder suchen sich 5 oder 10 oder 15 Minuten aus und sitzen an ihrem Bett.
Ab und zu setzt die Atmung aus, dann geht es wieder weiter.

Es ist absehbar.
Aber ob wir noch 2 Stunden oder noch einen weiteren Tag wachen, das weiß nur der Tod.

Ich sitze an ihrem Bett, wenn die Kinder ihre Wachen beendet haben.
Ich wünschte, sie würde noch sprechen.
Ich bräuchte das noch.
So dringend.
Aber so bleibt nur, ihr zu versichern, dass wir da sind.

Und wenn ich wieder eine Pause brauche, gehen wir alle aus dem Zimmer.
Es muss auch der Raum und die Zeit da sein, wenn sie alleine sterben möchte.
Wir wissen es nicht.
Wir werden es sehen.
So lange wachen wir gemeinsam.

Gleich bin ich wieder dran.

Kati 01.08.2017, 09.00 | (0/0) Kommentare | PL

Agonie

Ich bin wach.

Deutlich vor meiner Zeit bin ich wach.

Ich betrete leise ihr Zimmer.
Das erste, das mir auffällt, ist der Geruch.
Dem Hund auch.
Leise jaulend steht er in der Tür und fiept mich an.
Er dreht sich um und flüchtet.

Es riecht... süß. Und faulig.
Es ist eine einmalige Kombination, und ich kenne sie.

Uroma schnurchelt leise vor sich hin.
Schnelle Atemzüge.
Augen, Schläfen und Wangen sind eingefallen, die Gesichtshaut fahl.
Aber sie sieht friedlich aus.

Ich lasse sie noch einen Moment schlafen.
Oder wird es mehr als ein Moment sein?

Ein Todeskampf ist das nicht.

Für heute Morgen wünsche ich uns Ruhe.
Einfach nur Ruhe.

Worauf wartet er?
Oder wartet sie?

Kati 31.07.2017, 06.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

gebären [Warten auf den Tod]

Wir warten.

Er ist schon hier. So greifbar, so spürbar. Überall.
In jeder Bewegung, in jedem Moment, in jedem Atemzug.

Sie keucht mehr als das sie atmet.
Von Zeit zu Zeit gehen die Augen auf.

"Wasser, Uroma?"

Nein. Die Bewegung ist kaum wahrnehmbar.
Aber es ist ein Kopfschütteln.
Sie ist klar in diesen Momenten.
Sie weiß, wohin der Weg führt und sie muss ihn nicht einmal mehr gehen.
Nur warten.

Er sieht uns zu.

Heute Nacht, als ich um halb 2 Uhr in ihr Zimmer geschlichen bin, um zu sehen, ob sie noch atmet, habe ich ihn spüren können.

Nicht kalt, nicht erschreckend.
Nur dort.
So wie er auch während meiner Geburten spürbar war.
Leben und Tod gehören untrennbar zusammen.

Er steht an ihrem Bett und wartet.
So wie wir warten.
Und sie.

Die Kinder gehen abwechselnd in ihr Zimmer.
Das Zusatzkind, das der eigenen Mutter letztes Jahr beim Sterben nicht zusehen durfte, holt hier nach, was ihre Seele braucht.
Heilung.
Sie erzählt. Von Gott und der Welt.
Hält ihre Hand und weint.
So kostbar, diese Tränen.

Das große Tochterkind bricht seinen Urlaub ab und wird gleich mit seinem Vater und der Stiefmutter hier sein.
Und mit uns warten.

Die kleinen Kinder streicheln Uroma, gehen um ihr Bett und horchen auf ihre Atmung.
Horchen auf ihren Herzschlag.
Begreifen den Tod ohne es zu wissen.

Wir warten. Gemeinsam.

Kati 30.07.2017, 14.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Zerfaserung

Es sind Sommerferien.

Ich erhole mich langsam von meinem Schwindel von vor drei Wochen und arbeite an der Stressreduktion.

Es ist 7 Uhr morgens.

Die Notfallklingel klingelt. Laut.

Ich falle aus dem Bett und hetze zum Empfänger, um ihn auszuschalten, bevor die Ferienkinder davon wach werden.

T-Shirt an, Hose an, bei Uroma rein.
Mit Lächeln auf dem Gesicht.
Es fällt an vielen Tagen inzwischen schwer, aber das muss außer mir ja niemand wissen.

"Guten Morgen, was kann ich für dich tun?"

- "Weiß ich nicht."


Gesicht zur Wand gedreht, mehr ein Krächzen als ein Flüstern.
Augen zu.

Es ist wieder einer dieser Tage.

Vor genau einem Monat hat sie ihren 90. Geburtstag gefeiert.
Seit drei Jahren wartete sie auf diesen Tag, weil mein Vater hoch und heilig versprochen hat, er würde sie dann noch einmal besuchen kommen.
Er kam nicht.

Zwei Tage später wurde sie bettlägrig.
Eine Woche später war der Arzt da.
Höhere Medikamentendosierung, Mobilisierung, Physiotherapie, Ergotherapie, weiß der Kuckuck was noch alles.
Verweigerung auf ganzer Linie.
Verweigerung bei der Körperpflege, Verweigerung bei der Lagerung, passive Aggression.
Jeden Tag ein bisschen weniger.
Eine, zwei, drei, vier Wochen.
Nahrungsverweigerung.
Und dann schließlich: Medikamentenverweigerung.

Unser Hausarzt befragt sie und erklärt ihr die Konsequenzen.
Wir klären die rechtliche Lage, die persönliche, die emotionale.
Freier Wille. Ihre Entscheidung.
Und ja, wir begleiten das..

Hier stehen wir nun und sehen dem Verfall zu.
Im Hinterkopf fragt mich eine müde Stimme, warum ich jetzt aufstehen musste.

Ich straffe die Schultern und lächle.

Wie jeden Morgen.

"Oma, du hast gerade geklingelt. Was können wir denn mal für dich machen?"


Schulterzucken. "Will sterben."

"Ja, ich weiß."
, antworte ich.

Sie schweigt.

Wie jeden Tag.

Kati 27.07.2017, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Von der Sehnsucht

Ich spürte seine Anwesenheit hinter mir, bevor ich ihn hörte. Und ich musste mich umdrehen.
Musste sehen, musste fühlen, dass nicht er es war, sondern ein anderer.

Ich hörte das tiefe, volle, tönende Lachen und ich sah in ein lachendes Gesicht. Er ist es nicht., flüsterte eine atemlose Stimme in mir. Er ist tot. Lange schon. Geh weiter.
Aber ich konnte nicht. Ich sah.

Und ich stand mittem im Gang eines Supermarktes, starrte diesen Mann an und konnte mich nicht rühren. Er sah mich. Fragend, wundernd sah er mich an. Lächelte.
Ich lächelte zurück und sah ihm hinterher, wie er an mir seinen Wagen vorbeischob und sich lauthals mit seiner Frau über die Angebote unterhielt.
Dieselbe Stimme. Dieselbe Haltung. Ähnliches Aussehen. Und diese Liebe. In allen Worten diese Liebe.
Heiße Tränen schossen mir in die Augen und ich wandte mich dem Regal mit Schokolade zu, wo ich blinzelnd versuchte, meine Gefühle unter Kontrolle zu bekommen.

Eine halbe Stunde bin ich hinter ihm und seiner Frau hergeschlichen.
Habe mir beim Einkaufen Zeit gelassen und habe jedes Lachen, jedes Necken, jedes Wort in mein Herz geschlossen.
Ich kam mir albern vor. Gestört. Verstört. Verstörend. Aber ich konnte nicht anders.
Als wir an der Kasse waren, warf ich einen langen letzten Blick auf ihn und winkte innerlich ein leises Lebwohl.
Wie damals schon.

Du fehlst mir. So sehr. Auch nach all den Jahren noch.

Kati 25.11.2016, 11.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL




Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


woanders:




















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Do what is right. Not what is easy.