Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Briefe

Erde zu Erde

Die Bilder sind da.
Ein Video sogar.
Lauter Menschen, die ich noch nie in meinem Leben gesehen habe. Sie gehörten nur zu Deinem. Als die Asche verstreut wurde, sagte eine Stimme: „Wir hoffen, dass du jetzt glücklich bist.“ Und das hinterlässt gerade so viel Leere in mir. Glücklich. Dein Leben war am 20. Juli zu Ende. Bist du jetzt glücklich? Bin ich glücklich? Du fehlst mir. Ich hatte so oft das Handy in der Hand, habe gedanklich formuliert, was ich dir schreibe - es ist so viel bei uns passiert. Und da ist jetzt niemand mehr. Keine Großeltern, keine Eltern, keine Geschwister, niemand.

Der Trost wandelt sich manchmal in Einsamkeit. Habe mich in den vergangenen Wochen häufig gefragt, ob es nötig ist, dass auch ich noch gehe. Ob ich überhaupt Ende und Anfang zugleich sein kann oder ob auch ich meinen Platz räumen muss, um die letzten Erinnerungen mitzunehmen. Ich vereine alles auf mir, was niemals weitergegeben werden darf. Ich bin die Letzte, die sich an die Gräueltaten unserer Familie erinnert, welche Berechtigung habe ich, weiterzuleben, wenn ich diese Geschichte beenden will?

Die Tage werden gerade wieder etwas heller, die Schmerzen weichen, aber die Maske sitzt fest wie immer.
In mir tobt der Sturm.

Kati 02.10.2022, 12.24 | (2/0) Kommentare (RSS) | PL

Das Nadelöhr

8 Wochen sind es morgen, Dad. Wir halten seit 8 Wochen alle Bälle in der Luft. Alle. Und wir können nicht mehr. 
Das Nadelöhr, durch das wir gerade gehen, verspricht in all der Enge mehr Freiheit auf der anderen Seite.
Und trotzdem wache ich morgens auf und weiß nicht, ob ich es noch bis dahin schaffe. Es geriet alles in mir ins Wanken. Ich halte mich nur mühsam aufrecht, kann niemanden ertragen, der zu nahe kommt, stoße die wichtigsten Menschen meines Lebens zurück, weil ich kein Gefühl mehr ertragen kann. Keine Hilfe, keine Liebe, keine Umarmung, kein Zuspruch - ich ertrage es nicht mehr.
Ich bin voll mit Gefühlen und wenn nur noch ein Tropfen hinzukommt, dann berste ich.

Ich merke, wie sehr mir unser Austausch fehlt. Wie oft habe ich schon zum Handy gegriffen, um dir kurz etwas zu schreiben. Da sind immer nur diese beschissenen beiden blauen Haken.
Morgen wird sich das Leben des Kindes drastisch verändern und ich habe Angst. Nackte Angst.
Heute war auch dein Bouppteckning. Ich habe erste Zahlen gesehen und nach dem ein oder anderen Schreck hoffe ich, dass wir da irgendwie gut rausgehen.
Du scheinst deine Versprechen gehalten zu haben. Weitere drei Monate warten, fordert das Gericht.
Drei Monate.
In drei Monaten stehen wir kurz vor Weihnachten.
Der Sohn wird hoffentlich auf die Schmerzen nur noch als Erinnerung zurückblicken. Vielleicht planen wir dann schon die nächste OP für den Kleinen.
Vielleicht bin ich dann einige der Schmerzen wieder los, die mich seit Wochen nicht mehr richtig schlafen oder essen lassen. 
Ich möchte weglaufen. Ganz weit. Kann meinen eigenen Partner kaum noch ertragen, seinen Pragmatismus, seinen Intellekt, seine Vernunft, wenn in mir der Furor tobt.
Wir knallen täglich aneinander, aber es ist keine Reibung mehr, nichts Positives, nur noch Kernschmelze.

Mein Neocortex treibt mich weiter.
Jetzt kein Risiko eingehen. Ich kann das. Immer nur noch einen weiteren Tag. Im Denken bleiben. Nicht die Instinkte übernehmen lassen.
Alle Schutzschilde, alle Skills, alle Mechanismen, alle Strategien müssen 24 Stunden am Tag oben bleiben.
Ich verliere mein ganzes Leben, wenn ich jetzt loslasse. Ich bin hart, unbarmherzig. Gegen mich, gegen andere. Ich bin unfair. Und ich weiß das. Ich will Dankbarkeit für die beiden Menschen empfinden, die mich gerade durch den Alltag peitschen, aber ich kann nicht.

Die Schmerzen - gerade die Zahnschmerzen - nehmen mir die wichtigste Beruhigungsstrategie, die ich jemals hatte: Essen.
Ich habe Hunger.
Schon längst nicht mehr nur nach Nahrung.
Meine Seele verzehrt sich nach Gewalt, nach Blut, nach Sex, nach einem Urknall.

Ich will fallen. Ganz und gar. Will mich der Dunkelheit ergeben und alle Verantwortung loslassen. Will nicht mehr denken müssen, die Maske runterreißen und von jemandem geführt werden, der das Rohe an mir aushalten und lenken kann.

Ich weiß nicht, ob ich zurückkäme.
Ich wurde erschaffen, um die tausend Splitter eines Selbst zusammenzuhalten.
Ich bin das Regulativ.
Was, wenn ich verschwinde?

Ich bin müde.

Kati 13.09.2022, 22.26 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Ein letzter Brief.

Liebe Anne.

Vor 12 Jahren schon habe ich dir bei unserer Trennung etwas versprochen.
Niemand nach dir.
Ich wollte nie wieder so tief für jemanden empfinden. Wir haben uns gegenseitig fast zerstört. Wir waren so gleich und haben uns in den Abgrund gespiegelt.

Es war außerhalb meiner Ehe die emotionalste und tiefste Verbindung, die ich je erfahren habe. Ein tiefschwarzer Tanz unserer Seelen miteinander.
Ich möchte keine Sekunde davon missen, die Zeit mit dir hat mich maßgeblich geprägt.
Wir haben es später noch einmal in aller Heimlichkeit miteinander versucht, vorsichtiger und erwachsener diesmal, aber ohne die blutrote Schwärze waren wir nichts.

Nun bist du schon viele Jahre tot und ich habe mich in jeder neuen Freundschaft an mein Versprechen gehalten.
Niemand wird sehen, was du gesehen hast.
Nie wieder. 
Niemand nach dir.

Ich habe es gebrochen.

Da ist jemand, der schleichend Teil meines Lebens wurde. Ich kann dir nicht mal mehr sagen, wann oder wie das angefangen hat.
Nur, dass ich Anfang diesen Jahres plötzlich irgendwo in der Natur stand, fassungslos auf eine Nachricht blickte und es mir wie Schuppen von den Augen fiel, dass das schon lange keine Freundschaft mehr war.

Gefährtin, stand dort.
Und ich hatte es ohne viel Nachdenken geschrieben.

Pause, am anderen Ende. Und ich spürte, wie die Angst hochkroch. Angst, nicht zu reichen. Zuviel zu sein. Zuviel zu wollen. Das hatte ich seit dir nicht mehr.

Aber ich bin anders heute. Ich bin erwachsener geworden.

Und auch wenn ich weiß, dass hier auf der anderen Seite die Dunkelheit lauert - ein Mensch, dem keine Form von Leid fremd ist, der Unsagbares erfahren hat - wir tanzen nicht in den Abgrund. 

Wir tanzen ins Licht.

Ich weiß nicht, ob uns das jemals möglich gewesen wäre.
Vielleicht hatten auch wir unsere Zeit und ich bemühe mich, es so zu betrachten, dass wir damals das waren, was uns möglich war.

Ich hab dich geliebt. Und ich habe dich losgelassen

Machs gut, Anne. Und danke für alles.

Kati 02.09.2022, 09.10 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Vier

Vier Wochen. Vier. Das ist doch Irrsinn. Du bist tot, dein Haus ist ein Tatort, ich habe keine Ahnung, wo dein Leichnam inzwischen ist, ich kenne weder Todesursache noch Todeszeitpunkt, ich schwebe im Nichts und wenn ich nicht jeden Tag aufstehe und meinen Alltag abreiße, dann werde ich vermutlich einfach wahnsinnig. Ich kann nichts durchdenken, weil da nichts ist. Alles ist unklar. Ich kann nichts fühlen, weil ich weder jemanden habe, dem ich Fragen stellen könnte noch jemanden, der mir Antworten liefern würde.

Zwischenzeit.
Zwielicht.
In der Seele.

Meine Wut ist da. Sie lauert. Ich merke, wie mich der Dauerschmerz im Kiefer seit dreieinhalb Wochen mürbe macht. Merke, wie nah ich der Grenze komme. Versuche, mit ausreichend Pausen, Schlaf und Rückzug nicht ins Gefühl zu rutschen, nicht zu explodieren, nicht herumzuschreien, nicht zu verzweifeln. Es fände kein Echo. Da ist nichts, was mir antworten würde.

Anhörung Mitte September, dann noch mal vier Wochen Bearbeitung zum endgültigen Termin, dann ist Oktober, dann noch mal Bürokratie, dann vielleicht… wenn alles seinen Gang geht…
Wie soll ich etwas abschließen, von dem mir die losen Enden nicht mal bekannt sind?
Wir können nicht mal dein Scheißadressbuch aus dem Haus holen, um die Leute über deinen Tod zu informieren, bei denen du dir das gewünscht hast.
Nicht mal dein verficktes Adressbuch, verstehst du?
Nein, natürlich nicht. Du bist tot. Irgendwo im Nirgendwo.
Ohne Glauben, ohne Hoffnung, ohne Abschied bist du aus dieser Welt gegangen.

Ich merke, wie ich mit jedem Wort schon wieder wütender werde. Suizid ist ein Menschenrecht. Ich werde das niemals in Frage stellen. Und ich finde gerade alles daran kacke. Alles. Was, wenn Kjell an diesem Tag seine Kinder dabeigehabt hätte? Deine Patenenkel? Was, wenn die Kinder dich gefunden hätten? Was, wenn er erst Tage später gekommen wäre? Du lebst da mit Wildtieren mitten im Wald. Meine Fresse. Ich bin so wütend - auf alles. Auf alles.

Und ich soll jetzt den einzigen Mann anrufen, den du für diesen Schritt um Verzeihung gebeten hast und ich schaffe es einfach nicht. Es frisst mich auf. Ich will meine letzten Worte, ich will meinen Abschiedsbrief, ich will meinen verdammten Abschluss.

Stattdessen spiele ich dein letztes Spiel gegen mich selber in den seelischen Untiefen meiner Vergangenheit.
Ich bin am Ende.
Ganz allumfassend.
Also mache ich das Einzige, das in meinem Leben immer funktioniert hat.
Weiter.

Kati 17.08.2022, 10.21 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Happy Birthday

Ich habe dir gestern nicht gratuliert. Du wärst 75 geworden, wenn du dich nicht 16 Tage vor deinem Geburtstag getötet hättest. Ich habe versucht, an dich zu denken. Versuche, in Gedanken eine Rede zu schreiben, wie ich sie auf deiner Beerdigung halten würde, es gelingt mir nicht.
Ich bin die Tage wieder ein bisschen aus meiner Starre aufgewacht, habe wieder angefangen, hier im Haus und im Garten etwas zu tun, mich zu bewegen, etwas zu schaffen. Es ist zäher Morast, der an meinen Schuhen klebt. Ich komme nur mühsam vorwärts.
Meine schönste Erinnerung an dich? Ich versuche, eine zu finden, die ganz ohne Häme, blöde Bemerkungen, Demütigungen oder Alkohol auskommt. Es ist schwer - verdammt schwer - eine zu finden.
Die Stunden auf dem Boot sind vorne mit dabei. Das war Zeit, in der wir frei waren. Im Wald. Nachts, in der Dunkelheit unter Sternenhimmel. Es gibt sie, die schönen Momente, die mich geprägt haben. Gespräche, die bis heute kostbare Erinnerungen formen. Aber sie leuchten nicht hell in mir. 

Was werde ich Positives von dir mit in meine Zukunft nehmen? Dass du ein schwieriger Mensch warst? Dass du manchmal so gnädig warst, Menschen nicht völlig zu vernichten obwohl du das gekonnt hättest? Du hast mich oft stolz angesehen. Beim Ergebnis meiner IQ-Tests. Als mehrere tausend Menschen nach meinen Auftritten aufgestanden sind und applaudiert haben. Bei jeder Urkunde, bei jeder Eins, bei jedem arroganten Schritt nach ganz oben aufs Siegertreppchen. Ich glaube aber, da warst du nicht stolz auf mich. Du warst stolz auf deine Leistung, so jemanden geformt zu haben.

Die Form von zärtlichem Stolz, die man für ein geliebtes Wesen empfindet, einfach weil es ist, weil es existiert und sich treu bleibt - ich weiß nicht, ob du das jemals empfinden konntest.

Ich wünsche dir vielleicht heute einfach, dass du jetzt jenes Glück und jenen Frieden gefunden hast, die dir im Leben versagt blieben.
Happy Birthday, Dad.

Kati 06.08.2022, 23.43 | (3/0) Kommentare (RSS) | PL

Die ewige Versagerin

Ich hatte versagt. Ich war 13, 14? und hatte im Training auf ganzer Ebene versagt. Mal wieder. Ich habe geweint. Die Tränen liefen mir die Wangen runter und ich hatte mich mehr als einmal zu einem disziplinlosen Keuchen hinreißen lassen. Der Fuß schmerzte immer noch, wo du mir vor Tagen den Zehennagel rausgerissen hattest.

Blickkontakt. Hart bleiben. Entspannen. Schmerz existiert nicht. Schmerz ist nur ein Gedankenkonstrukt. Ich wartete auf den vernichtenden Schlag. Er kam nicht.

Sollte es einer deiner weichen Tage sein? Wir hatten einige davon. Mit Reden, Lachen, Abenteuer. Ich habe dich vergöttert.
Aber es sollte stattdessen eine Lektion folgen.
Ich hatte immer Schwierigkeiten mit dem Gewürgtwerden. War nicht entspannt genug, die Griffe saßen nicht richtig, ich war zu langsam, zu hektisch, zu panisch, zu .. irgendwas. Und dann sagtest du: „Umfass von hinten meinen Hals. Drück zu. Würg mich. Fixier deinen Griff. So wie du es gelernt hast.“

Das war das erste Mal, dass ich etwas üben sollte, bei dem du am Anfang in einer unterlegenen Position sein solltest.
Und das hat mich innerlich so entsetzt, dass ich vor lauter Überraschung einfach Nein sagte.

Der Jähzorn nahm dich sofort mit. Das Gebrüll war infernalisch und ich war so überfordert, dass ich weinend zusammenzuckte.
Das hat dich nur noch wütender gemacht. Meine Mutter kam irgendwann dazu und forderte mich genervt auf, doch einfach zu tun, was du verlangst. Und ich konnte nicht. Da war sie wieder, diese Sperre in mir. Ich konnte einfach nicht.

Luftnot ist meine Nemesis, damals wie heute. Waterboarding, Würgespiele, unter Wasser gedrückt werden, es war immer die größte Herausforderung für mich. Ewiger Versager. Zu hoher Herzschlag, Panik, keine Regulation. Ich kannte die Kritik. Und ausgerechnet dir das Unvorstellbare anzutun, und sei es nur im Spiel - ich konnte nicht. Ich konnte einfach nicht.

Wir brüllten inzwischen alle durcheinander und ich hatte keine Ahnung, wohin das führen würde. Du versuchtest, mich mit Gewalt dazu zu bringen, dich zu würgen und ich hing da an dir wie ein nasser schlaffer weinender Sack und brüllte nur wütend Nein!

Es entbehrt in der Rückschau nicht einer gewissen Komik, dass es ausgerechnet deine eigene Verzweiflung war, die dich immer zorniger hat werden lassen.
Und dann schrie ich aus Leibeskräften die Worte, die alles veränderten. Ich werde dir nicht wehtun, Dad. Ich kann nicht. Ich will nicht.

Die Enttäuschung, die über dein Gesicht zog, werde ich wohl nie vergessen. Es war der Moment, in dem du alle Hoffnung, die du jemals in mich gesetzt hast, aufgegeben hast. Kein Elitekämpfer. Kein Übermensch. Keine perfekt nach deinen Vorstellungen geformte und beliebig programmierbare neue Menschenklasse. Wir hatten beide versagt. Es war der Moment, der für dich wohl den Tiefpunkt deiner Vaterschaft darstellte.

20 Jahre später haben wir uns ausgetauscht und du hast dir immer verbeten, über „emotionalen Mist“ aus meiner Kindheit sprechen zu müssen.

Das Einzige, was du mir geschrieben hast, war, dass du mich einige Jahre geliebt hättest. Dass du große Erwartungen in mich gesetzt hattest. Und dass ich und meine Fehlentscheidungen eine solche Enttäuschung für dich waren, dass du nicht anders konntest, als dich von mir abzuwenden.

Vielleicht konnte mir nichts Besseres passieren.

Kati 06.08.2022, 14.44 | (4/0) Kommentare (RSS) | PL

Tag3

Hej Dad. Tag3? Tag3.
Ein weiterer Umschlag also.
Für mich.
Kein aktueller.
Einer, der schon vor Jahren deponiert wurde.
Du hast eine treue Gefolgschaft um dich geschart, ich habe nichts anderes erwartet.

Sie werden schweigen, wenn ich nicht genau das tue, was du wolltest, nicht wahr? Ich kann alles haben oder gar nichts. Aber nur nach deinen Regeln. Du würdest lieber alles zerstören als zuzulassen, eine Situation nicht mehr unter Kontrolle halten zu können. Aber soll ich dir was sagen?

Du bist tot. Du spielst das Spiel nicht mehr. Und ich - ich kann mich entscheiden, ob ich das will oder nicht. Ich bin schon lange nicht mehr finanziell von dir abhängig, ich habe ein vollkommen abgesichertes Leben und deine Gier nach Reichtum ist mir fremd.
Alles, was ich noch erreichen will, werde ich auch ohne dein Erbe tun und das war immer mein Maßstab.
Ich weiß, wo dein Geld herkommt.
Ich weiß, wie schmutzig unser Erbe ist.
Seit Generationen.
Ich will es nicht.

Wir hatten den Deal, dass du den Menschen, die dir dort in Schweden etwas bedeuten, zu deinen Lebzeiten ermöglichst, ein sicheres Leben zu führen.
Sie wissen nichts von unserer Vergangenheit und sie haben dich erst als alten Mann kennengelernt, der in der Lage ist, so etwas wie Gefühle zu empfinden, nicht als den Psychopathen, der du eigentlich bist.
Ich weiß nicht, ob das Alter dich wirklich weicher gemacht hat. Ich will daran glauben.
Ich will daran glauben, dass die letzten 4 Jahre Austausch mit mir nach dem Tod meiner Mutter etwas verändert haben.
Du hast dein Haus verschenkt. Dein Grundstück. Deinen Wald. Deinen See.
Ich weiß nicht, ob meine Ablehnung all dessen dir wehgetan hat.
Ob all das vielleicht sogar eine verquere Art von Strafe war, damit ich in anderer Hinsicht zur Besinnung komme.

Die Familie, in deren Eigentum dein Besitz jetzt übergehen wird, lebt schon dort.
Sie wird deine Wahlheimat mehr zu schätzen wissen als ich.
So sehr ich dein Land liebe - mein Zuhause ist hier.

Der Umschlag… Ich werde persönlich mit einem deiner Freunde reden müssen, wenn ich erfahren will, was es damit auf sich hat.
Ich werde eine Nacht darüber schlafen.
Denn ich habe Zeit.

Kati 24.07.2022, 23.45 | (0/0) Kommentare | PL

Tag1

Ich weiß nicht, wie es mir heute geht, Dad. Ich weiß auch nicht, ob dich das interessieren würde. Die Briefe… sie treiben mich um. Wie viele gibt es? An wen? Ich habe heute den Inhalt des Einen, des dir anscheinend Wichtigsten erfahren. Und darin befindet sich so viel Liebe, so viel Gefühl. Nicht für mich. Für diesen Menschen. Eine Entschuldigung. Eine gottverdammte Entschuldigung. So viel Schmerz. Ich versuche, nicht in Selbstmitleid zu versinken und trotzdem kreist das Kind in mir um deine Liebe, deine Anerkennung, den Funken des Erkennens, dass ich in den letzten Minuten deines Lebens irgendeine Rolle gespielt habe. Dass es einen Unterschied gemacht hat, dass es mich in deinem Leben gegeben hat. Ich weiß nicht, ob ich darauf eine Antwort bekomme. Trauer ist eine egoistische Angelegenheit. Ich muss meine Schilde sehr hoch halten, um durch diese Tage zu kommen. Ich bin erschöpft, ich bin ratlos. Die Tränen laufen ab und zu einfach über mein Gesicht und ich weiß nicht, was es ist. Bemitleide ich mich selbst? Was ist noch Kind, was ist echte erwachsene Trauer? Es kommt von so tief unten, dass ich Angst habe, es freizugeben. Ich fühle diesen unbändigen Schmerz, der alles verzehrt, mit dem er in Berührung kommt. Er darf nicht nach oben, ich halte das nicht aus. Nicht jetzt, nicht hier. Noch nicht.

Kati 23.07.2022, 03.37 | (0/0) Kommentare | PL

Tag0

Briefe also, hm? Ich höre die Namen, die auf den Briefen stehen. Verschlossene Umschläge. Mit letzten Worten, vermutlich. Noch hat keiner seinen geöffnet.
Habe ich auch einen Brief? Oder steht irgendetwas an mich in deinem Abschiedsbrief, der nun bei der Polizei liegt und als Beweismittel gilt? Irgendetwas?

Ich werde mich noch gedulden müssen und habe keine Ahnung, wovor ich mich mehr fürchte: Vor dem, was du mir als Letztes in deinem Leben mitteilen wolltest oder davor, dass es nichts gibt, das diese Kriterien erfüllen würde.

Hast du an mich gedacht? Hast du mir in Gedanken Lebewohl gesagt? Oder sogar in geschriebenen Worten? Gibt es ein Machs gut, ein Pass auf die Kinder auf, ein Ich bin stolz auf dich, ein Ich liebe dich oder vielleicht sogar ein Verzeih mir?

Bei einem so lange im Voraus und bis in alle Einzelheiten geplanten Tod gibt es keine verpassten Chancen
Wie gehen wir beide hier raus, wenn wir fertig sind?

Kati 21.07.2022, 13.00 | (0/0) Kommentare | PL

Hej Dad

Ich weiß, dass du meine letzte Nachricht noch gelesen hast. Die beiden blauen Haken haben dich verraten.

Um Mitternacht klingelte hier die Kriminalpolizei. Und ja, natürlich wusste ich, was sie mir sagen würden. Es ist vielleicht nicht so ganz das Gespräch geworden, das sie erwartet haben.

Und jetzt kann ich seit 5 Stunden nicht schlafen.
Weil ich wütend bin.
Ich bin so stinksauer auf dich, dass ich statt mit Tränen der Trauer mit Tränen der Wut und Ohnmacht hier sitze.
Ich weiß, dass das nichts ändert.
Ich werde bei Sonnenaufgang meine Rüstung anlegen und wir bringen Anwälte, Dolmetscher und Notare in Stellung.

Ich habe einen Menschen an meiner Seite, der sich vor mich stellen wird, als Schild, als Fels, als Sandsack, als Umarmung, ich werde da durchkommen, irgendwie.

Aber weißt du was? Du und ich. Wir waren noch nicht fertig miteinander. Ich war noch nicht bereit. Du hast das alleine entschieden. Und ich bin so unfassbar wütend.

Kati 21.07.2022, 05.00 | (8/0) Kommentare (RSS) | PL



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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