Blogeinträge (themensortiert)
Thema: out of order
Covid Tag 6 - Freitag
Ich bin wacher. Was gestern als undifferenziertes Gefühl begann, manifestiert sich heute in Gewissheit. Ich denke wieder schneller, ich muss die Worte nicht erst mühsam aus Kisten kramen, ich kann wieder besser formulieren und auch kommunizieren. Trotzdem bewegt sich nach wie vor alles in Zeitlupe statt Echtgeschwindigkeit. Der Verlust von Geruch und Geschmack ist hart. Es ist, als würde der Welt ein grundlegender Baustein fehlen. Der von niemandem sonst wahrzunehmende Ammoniakgestank hängt nach wie vor über allem, was tierischen Ursprungs ist. Der Husten ist noch mal fester geworden, die Krampfanfälle schlimmer, es löst sich nichts mehr. Dreimal musste ich in der Nacht wieder 20 Minuten einfach nur am offenen Fenster stehen und versuchen, zwischen den Husten- und Würgeanfällen einigermaßen ruhig zu atmen ohne panisch zu werden. Zum draußen schlafen ist es leider zu kalt, die Temperatur fiel empfindlich unter die Grenze, bis zu der ich krank draußen schlafen kann. Nasennebenhöhlen unverändert, Kopfschmerzen eher hämmernd als stetig, Magen und Darm liefern noch das volle Programm. Ich bin müde. Müde und unendlich erschöpft. Alle Muskeln tun weh, der Nacken ist komplett steif und verspannt, ich kämpfe mit Kreislaufproblemen und starken Schwindelanfällen.
Covid Tag 5 - Donnerstag
Der Morgen beginnt mit starker Übelkeit, Erbrechen, Hustenkrämpfen und dem Gefühl einfach nicht mehr zu können. Ich schlafe zu wenig, ich kann nicht gut atmen, mein extrem gut ausgeprägter Geruchssinn ist einfach weg und ich kann Mann und Kinder und die Tiere und mein geliebtes Draußen und alles, woran ich mich im Alltag orientiere, einfach nicht mehr riechen. Ich möchte mich zusammenkauern und weinen, aber das löst einen weiteren Hustenkrampf aus, also lasse ich das. Denken geht heute anscheinend deutlich besser, dafür spricht, dass ich angefangen habe, es hier aufzuschreiben und die letzten Tage nachzulesen, was überhaupt passiert ist. Kopfschmerzen verstärken sich bei Bewegung, Zähne tun nur noch beim Husten weh, ich huste nach wie vor weißen Schaum, was irgendwie eklig ist. Der Hals ist blutig und wund, Puls mit Betablockern bei 110, Sauerstoffsättigung bei 96%, auch wenn es sich beim Atmen nicht so anfühlt. Ich müsste was essen, aber ich schaffe es gerade noch nicht, Dinge, die ich weder riechen noch schmecken kann, einfach runterzuschlucken. Alles an dieser Krankheit triggert massiv Trauma und Erlebnisse von früher, ich versuche einfach irgendwie die Zeit totzuschlagen.
Seit 13 Uhr "riecht" alles, was tierischen Ursprungs ist oder tierische Bestandteile enthält, nach Ammoniak. Das ganze Haus stinkt und als der Mann für die Kinder gekocht hat und dabei Fleisch zubereitet hat, fühlte es sich an, als hätte man mir Säure in die Nase gegossen. Das Gehirn fühlte sich insgesamt tatsächlich etwas wacher an. Ich kann trotzdem kein einziges heute geführtes Gespräch vernünftig wiedergeben. Periodenlutungen haben deutlich zu früh in ungewöhnlicher Stärke eingesetzt, etwas, das schon nach den Impfungen passiert ist.
Covid Tag 4 - Mittwoch
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Magenkrämpfe, Erbrechen, Darmkoliken sind meine neuen Freunde. Husten ist inzwischen krampfartig geworden, ich bekomme immer schlechter Luft, die Nasennebenhöhlen sind zu, jede Umlagerung oder Bewegung tut weh, löst Husten oder Atmennot aus. Der Kopf hämmert vor Schmerzen, ich bin gereizt und habe das Gefühl, ich bekomme wieder mehr von meiner Umgebung mit. Der größte Indikator dafür ist, dass ich am Mann herummeckern kann, eigentlich immer ein Zeichen für Besserung, wenn nicht mehr alles gleichgültig an mir vorüberzieht. Ich habe Ganzkörpermuskelkater vom Husten. Im gesamten Unterkiefer schmerzen alle Zähne wie bei starken Zahnschmerzen. Wortfindungsstörungen. Blasse Erinnerung an soziale Interaktionen. Um 19 Uhr noch darüber nachgedacht, wie lecker der Muffin schmeckt, drei Stunden später sind Geschmackssinn und Geruchssinn verschwunden. Auch starke Reize kommen nicht mehr im Gehirn an.
Covid Tag 3 - Dienstag
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Der Dauerkopfschmerz weicht einem migräneartigen Stechen im Kopf. Es ist bei Husten kaum auszuhalten. Die Hustenanfälle werden intensiver, ich kann nur noch draußen einigermaßen ruhig atmen. Zum Glück haben wir kühle und feuchte Luft, etwas Nieselregen, ich schlafe jetzt auch nachts draußen. Große Probleme mit Atemnot beim Aufstehen oder Bewegen. Ich friere ununterbrochen. Am Abend habe ich so viele Medikamente im Körper, dass ich wieder rudimentär denken kann, das Baden war aber definitiv zu anstrengend für den Körper, aber ich habe eine halbe Stunde nicht gefroren oder gehustet. Ab dem späten Abend kommt Erbrechen hinzu. Ich habe keine Erinnerung an jegliche zwischenmenschliche Interaktion an diesem Tag.
Covid Tag 2 - Montag
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Laut WhatsApps und Spiellogs kann ich sehen, dass ich mehr oder minder den ganzen Tag gespielt habe. Zwischendurch habe ich draußen geschlafen und was gegessen. Husten und Schnupfen, starke Gelenkschmerzen, ich weiß nicht mehr, was den Rest des Tages hier passiert ist. Keine Erinnerung an Interaktionen mit anderen Menschen, nichts.
Covid Tag 1 - Sonntag
geschrieben an Tag 5 - Donnerstag, 31.10.
Ich erinnere mich noch daran, dass ich morgens erst negativ getestet habe, nach über einer Stunde war der Hauch einer Linie zu erkennen, bisschen Husten. Ich habe den Besuch verabschiedet, der Rest des Tages liegt im Dunkeln. Auf Social Media und WhatsApp kann ich sehen, dass ich im Laufe des Tages mit Menschen interagiert habe, ich erinnere mich an nichts davon
Ich bin zum ersten Mal überhaupt positiv, bin dreimal geimpft, gehöre gleich in mehreren Kategorien zur Risikogruppe.
Sehnsucht
Manchmal willst du nur jemanden, der so sehr in seiner Intuition ruht, dass er dir die Maske vom Gesicht reißt - jemanden, der nicht zurückweicht, wenn er die hässliche Fratze dahinter sehen kann. Der nicht zurückschlägt, wenn ich austeile, ein Fels, der standhält, stoisch, gleichmütig, nicht weich, sondern hart wie Beton, gegen den ich so lange anstürmen kann, bis ich verletzt und erschöpft zu Boden sinke und keine Mauer mehr steht und die Tränen endlich laufen dürfen, weil da nichts mehr ist, was sie zurückhält. Jemanden, der mein gesamtes Denken ausschaltet, weil ich darauf vertrauen kann, dass er führt, dass er das Geschrei in meinem Kopf verstummen lässt. Das Geschrei, die Panik, die ständige Kontrolle, das obsessive Regelwerk, die Rituale, die Beständigkeit, das Stahlskelett aus Disziplin und Kontrolle über alles, was Emotion ist. Der die darunter liegende Verzweiflung aushalten kann und der mich trägt. Diesen zerflossenen Haufen Mensch, der ich einmal werden sollte und der nie die Chance bekommen hat, in einem anderen Modus zu existieren als im Überleben.
Agonie
Zu erschöpft. Zu erschöpft für alles.
Vielleicht kann ich irgendwann stolz auf diesen Tag sein, aber momentan ist da nur Müdigkeit und bleierne Schwere. Bin für mich eingestanden, ganz alleine. Habe beim Arzt geweint. Lange. Bitterlich. Habe ausgehalten, ohne in die Vergangenheit zu wechseln, obwohl die Betäubung nicht griff. Nach einer geschlagenen Stunde Kampf um ein bisschen Gnade in Form von Schmerzdämpfung: "Wenn ich gleich merke, dass der Zahn rauskommt, dann ziehe ich weiter, okay? Ich BRAUCHE dafür ihr okay." Das Adrenalin rauscht durch meine Adern und ich höre ihn kaum. Aber ja. Ja. Selbstwirksamkeit. Ich kann das. Ich habe die Wahl. Nur noch die nächste Minute aushalten. Nur 30 Sekunden. Nur 10 Sekunden. So wie ich früher gezählt habe. Nur einmal bis 10 zählen. Und dann nochmal. Nur noch einmal. Und noch einmal. 10 Sekunden kann jeder alles aushalten. Und nochmal. Ein Blut- und Tränenmeer. Heute war mir alles egal.
Der Kiefer schweigt seit 7 Wochen zum ersten Mal.
Mein bester Freund, das Sofa

Ich dachte, nach der langen Grippeerkrankung nehme ich mir noch mal zwei, drei Wochen Zeit für eine große Muskelverletzung im Rücken. Ich verbringe meine Tage also entweder im Bett liegend, weil das die einzige Möglichkeit ist, schmerzfrei zu sein - oder ich sitze mit dem Hund auf dem Sofa und langweile mich zu Tode. Auf dem Sofa sitzen ist nach Im-Bett-liegen nicht mit solchen Schmerzen verbunden, dass ich mich vom Dach stürzen will, also verbringe ich dort ebenfalls sehr viel Zeit. Ich habe die Kinder genötigt, die xBox aus dem Partyzimmer wieder ins Wohnzimmer zu bringen, wo ich dann in Decken eingepackt Supermutanten erschießen, Sims heiraten lassen oder Challenges spielen kann. Meine Freuden im Leben...
Nach dem letzten Besuch beim Orthopäden und einer Spritze mit wirklich extrem langer Nadel, die munter in meinem Rücken herumstocherte, geht es langsam aufwärts. Betonung auf langsam, aber immerhin aufwärts.
Ich kann das Sofa allmählich nicht mehr sehen, ich möchte arbeiten, etwas tun, produktiv sein, aber so lange ich mich nach dem duschen oder staubsaugen erst mal ne Stunde hinlegen muss, weil ich so erschöpft bin, wird das noch nicht wirklich was.
Lauf!
Ich bin bereit. Das Laufband setzt sich langsam in Bewegung. Nur ein bisschen. Das Knie meckert, heute nur langsam. Aber ich muss laufen, ich muss die Gedanken loswerden, die Albträume der Nacht abschütteln. Ich muss mich bewegen. Uve Teschner wird mir die nächste Stunde vorlesen mit dieser Stimme, die in mir eine Ruhe hervorruft, die ich sonst nur in der Nähe des Mannes empfinde. Ich laufe. Meine Gedanken wandern von der Grenze zwischen Thailand und Burma immer wieder in die nahe Zukunft. Ich muss mich einem Menschen stellen, den ich mehr als jeden anderen verabscheue. Von dem ich dachte, ihn nie wiedersehen zu müssen. Ich versuche, mich auf die Stimme in meinem Ohr zu konzentrieren und wieder in meine Geschichte einzutauchen. Vielleicht laufe ich einfach etwas schneller. Das Knie wird mitziehen müssen. Mir wird warm. Gut. Noch ein bisschen Steigung dazupacken. Nicht denken. Den Kopf frei laufen. Burma. Die Aufständischen. Mein Held mit einer Mission im Dschungel. Weiter gehts. Überall Drohnen. Gefahr von oben. Regen, Nebel und hohe Temperaturen. Ich werde schneller. Der Körper schreit nach Forderung. Das Knie ist noch stabil, auch wenn es weh tut. Ich bin in einer abgelegenen Hütte in der Nacht. Die Erinnerung trifft mich wie ein Schlag. Die Fesseln. Der Ledergürtel. Der Schmerz. Der unendliche seelische Schmerz, der niemals von der körperlichen Versehrtheit eingeholt werden kann. Niemals. Schneller! Lauf schneller! Die ersten Schweißperlen stehen auf meiner Stirn. Burma. Wir haben die Grenze überquert. Der Fluss. Wir müssen noch über den Fluss! Ein Drohnenangriff. Verletzte, Tote. Blut. Der Schweiß, der mir am Hals herabläuft, fühlt sich plötzlich an wie Blut. Das Blut von damals. Seine Schläge. Sein Lachen. Das Wissen um das, was kommen würde, jetzt wo er maximal erregt war. Ich schließe die Augen und laufe weiter. Schneller. Wir kümmern uns um innere Blutungen, aber es ist klar, dass hier noch mehr Menschen sterben werden. Meine Erinnerung vermischt sich mit den Hass- und Gewaltphantasien, die ich mir schon so lange Jahre versage. Der Hass ist roh und kalt. Ich will das nicht. Nebenan startet der Sportkurs und harte laute Rhythmen dringen hinter der Erzählung an meine Ohren. Die Bässe geben meinen Laufschritt vor, noch ein paar Minuten durchhalten, nur noch ein bisschen. Selbst Uve Teschners Stimme erhebt sich. Die Ereignisse im burmesischen Dschungel überschlagen sich. Ich will nicht mehr an ihn denken. Nicht mehr daran, wie ich mich nass und blutig und wund endlich in der Dunkelheit zusammenrollen konnte, die mich mit sanften Armen umfing. Jedes Mal. Ich habe jeden Verrat überlebt. So viel Schmerz. Ich will nicht mehr. Weiterlaufen. Schneller. Weiter. Nur weiter. Gegen den Schmerz. Gegen die Erinnerung. Gegen den Ekel. Gegen den Hass. Völlig erschöpft steige ich nach einer Stunde vom Laufband und trockne mit dem Handtuch mein Gesicht ab. Ich blicke darauf und sehe kein Blut. Es ist Schweiß. Nur Schweiß. Mein Herz pumpt und ich fühle mich leer. Leergelaufen, leergefühlt. Der Held der Geschichte hat das Schlimmste hinter sich und kämpft nun nur noch gegen die Versuchung. Enttäuschend, dass selbst ein gutes Buch diesen billigen Aspekt nicht auslassen möchte. Ich weiß, er wird scheitern. Wir alle scheitern irgendwann an unseren niederen Instinkten. Ich ziehe mich um, packe zusammen und gehe nach Hause. Weiter. Immer weiter.
Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.
woanders:
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Online seit dem: 21.04.2016
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