Drei Jahre
Heute vor drei Jahren haben wir die schlechteste Entscheidung unseres Lebens getroffen.
Eine, die wir drei Jahre lang bitter bereut und teuer bezahlt haben.
Geistig, körperlich, seelisch.
In dem Bestreben, eine große glückliche Familie werden zu wollen, haben wir uns fast zugrunde gerichtet. Es war die richtige Entscheidung. Moralisch ohnehin - aber wir haben uns auch unserer Verantwortung gestellt, weil wir das wollten und aus tiefstem Gefühl heraus wussten, dass es das Richtige ist.
Ich würde diese Entscheidung in jener Situation immer wieder genau so treffen.
Leider war sie für alle Beteiligten falsch.
Wir haben zwei Jahre gebraucht, um mit viel Hilfe von Außen zu erkennen, dass auch das stärkste Wollen verhallt, wenn es auf das Nichts trifft.
Dass man auch mit dem Messer im Rücken rechnen muss, wenn man Herz und Heim öffnet.
Ein weiteres Jahr haben wir benötigt, um unser Leben wieder so weit auf Kurs zu bringen, dass wir überhaupt weitermachen können.
Verletzt, verwundet, mit schweren Verlusten, aber weiter.
Sport Woche 10
9 Wochen Sport im Fitnessstudio habe ich hinter mir, Woche 10 hat begonnen.
Inzwischen sind alle Abläufe vertraut, die meisten Personen bekannt und ich muss mich auch nicht mehr zwingen, sondern gehe gerne und fast automatisch dorthin.
Der Stolz ist geblieben.
Meine Haltung hat sich inzwischen auch für Außenstehende sichtbar verbessert, meine Muskulatur wächst spürbar und ich fühle mich insgesamt deutlich besser.
Die Kyphose der Halswirbelsäule ist so gut wie verschwunden - etwas, das vor 6 Monaten weder ich noch mein Orthopäde gedacht hätten.
Dauerhaft verschwunden sind auch Rückenschmerzen, Nacken- und Schulterschmerzen Lähmungserscheinungen, Taubheitsgefühle, Panikattacken und der Schwindel.
Keine so schlechte Bilanz für diese Zeit...
Das Gewicht rührt sich nicht vom Fleck, aber das wird auch noch. Ziel ist weniger Gewicht auf ein deutlich verbessertes muskelgestütztes Knie, damit ich die nächsten 20 Jahre bis zum neuen Kniegelenk noch einigermaßen gut überstehe.
Das Knie ist auch nach wie vor das Einzige, das richtig viel und richtig schmerzhaft Probleme bereitet.
Ich arbeite dran, dass auch das läuft.
[Achtung, schlechter Wortwitz.]
Instagram
Vor einigen Monaten habe ich Instagram für mich entdeckt. War dies bislang für mich nur der Tummelplatz der Selbstverliebten, blieb meine Faszination irgendwann an der Überschaubarkeit eines einzelnen Lebens hängen.
Und neben Blog und privatem Tagebuch und Fotoordnern auf meinem Computer, die mir allesamt helfen sollen, nicht allzu tief im schwarzen Loch der Depression zu versinken - wenngleich dies manchmal auch nur retrospektiv gelingt - war Instagram so herrlich einfach gestrickt.
Handyfoto eines speicherwürdigen Augenblicks, kurzen Text oder auch nicht, bäm! - Erinnerung gespeichert.
So visuell, so verfügbar, so barrierefrei, dass selbst im dunkelsten Schwarz der kleine Lichtblick am Tag, der Moment der Überwindung, der Triumph über die Herausforderung Leben noch festgehalten werden kann.
Und so fing ich an, mir dieses Portal zunutze zu machen.
Gegen das Tief, gegen die Schwärze, gegen das Vergessen des Lichts.
Und an Tagen wie heute kann ich mich im Bett verkriechen, das Handy unter der Bettdecke anschalten und kann die Bilder durchgehen, noch während ich in der Dunkelheit festsitze.
Sehe das, was mich bewegt. Wofür ich dankbar bin. Das Schöne, das Helle, das Wunderbare in meinem Leben. Denn es existiert.
Die Fitness-Sache

Konnte ich vor einem Monat noch kaum laufen, weil das Knie seit Ende Oktober so weh tat und der ganze Rücken verzogen und die Wirbel verdreht waren, habe ich am Montag Woche 3 im Fitnessstudio begonnen. 5 Mal pro Woche je 60 Minuten Laufband und Geräteturnen für die Muskeln. Dazu immer noch Physiotherapie, um die neuen besseren Bewegungsabläufe unter Kontrolle zu erlernen. Und was soll ich sagen? Es läuft. Mein Trainingsbuddy, der 30 Jahre älter ist als ich und ohne zu schnaufen das 4fache meiner Gewichte stemmt, sorgt für den nötigen Wettbewerbsgedanken.
Anonsten hätte ich vor zwei Monaten noch Stein und Bein geschworen, dass ich (ich!) niemals (nie.im.Leben!) in einem Fitnessstudio irgendetwas tun würde.
Tja. Erstens kommt es anders...
Das Knie ist inzwischen stabil, wenn auch empfindlich, was ungewohnte Bewegungen oder Anstrengungen angeht. Aber ich schreie nicht mehr fast vor Schmerzen, wenn ich Treppen laufe oder mich drehe.
Und das tiefe schwarze Loch hat endlich einen sichtbaren Rand bekommen.
Geht gerade so, das Leben.
Aufwärts
Die Erkenntnis, wie weit ich im Grunde genommen seit meinem nervlichen und körperlichen Zusammenbruch im Sommer gekommen bin, hat mir heute mein Orthopäde vor Augen geführt. Er las mir alle Beschwerden vor, die ich im September nach der Katastrophensituation mit der Tochter angegeben hatte.
Panikanfälle, Luftnot, Schwindelattacken, Angst, Mutlosigkeit, Depression, Muskelkrämpfe, Lähmungen, Kribbeln, Taubheit, chronische Schmerzen.
Bei jedem Punkt hat er mich gefragt: "Und wie ist das heute? Jetzt gerade?"
Und ich konnte bis auf einen verkackten Punkt alle anderen verneinen.
Alle.Anderen.
Rückschläge verunsichern mich zwar noch stark, aber da ich einmal in der Woche dort bin und gute Rückmeldungen als auch meinen eigenen Anteil daran schonungslos vor Augen geführt bekomme, lerne ich langsam, etwas besser damit umzugehen.
Ich bin im Training, ich habe Spaß daran, ich glaube endlich daran, dass es aufwärts geht.
Auch wenn es weh tut. Körperlich und seelisch.
Auch ohne meine Tochter.
Sie hat ihre Wahl getroffen und ich werde damit leben können.
"Schöner Scheiß."

Das war vor zwei Wochen verständlicherweise nicht unbedingt das, was ich eigentlich von einem Arzt beim Blick auf die Röntgenbilder meiner Wirbelsäule hören wollte. Aber rückblickend betrachtet war genau das vielleicht das Richtige.
Eine Woche liegt hinter mir, in der ich statt 56 Mal Schmerzmittel genau 3 Mal Schmerzmittel genommen habe. Und dann auch noch nicht mal das, bei dem man blaue Einhörner sehen kann/darf/muss.
Anzahl der Angst- oder Panikattacken wegen drohendem Schwindel: Null.
Anzahl der Möglichkeiten, in denen ich schmerzfrei sitzen konnte: Einige.
Heute also erneute Sitzung beim Orthopäden, erneutes Vermessen, schieben, drücken, ziehen.
Ich habe endlich wieder das Gefühl, meine Beine sind gleichlang, die Hüft-, Kreuzbein-, Knie-, Schulter-, Nackenschmerzen sind ein weiteres Mal weniger geworden und trotz vollem Terminkalender heute gab es keinen Nervenzusammenbruch, kein Das-ist-mir-alles-zuviel-Gefühl, keinen Stress, nichts.
Ja, der Weg ist noch weit.
Aber ich kann ihn endlich sehen.
Schockstarre
Es ist jetzt bald drei Wochen her, dass ich den Schwangerschaftstest gefunden habe und das Unheil seinen Lauf nahm. Drei Wochen, seit wir im Dunkeln zu Dritt im Wohnzimmer gesessen haben und Stück für Stück die Wahrheit aus dem Kind herausbrach. Nicht nur die Wahrheit in Bezug auf den Schwangerschaftstest. Auch die Dinge, die vor vielen Monaten ihren Anfang nahmen. Drei Wochen, seit ich am liebsten den Kopf in den Sand gesteckt hätte um nichts mehr sehen, hören oder fühlen zu müssen. Ich habe mein Sportprogramm einfach beendet. Nichts mehr getan. Sitze den ganzen Tag herum obwohl ich weiß, dass das Gift für meine Bandscheiben ist. Starre vor mich hin und überlege, was ich tun kann. Was ich falsch gemacht habe. Mache kaum noch etwas in Haus oder Garten, spüre mich selbst nicht mehr. Esse die falschen Dinge und tue Sachen, die mir nicht gut tun.
Das Wissen um all dies sorgt für Selbstvorwürfe und die wiederum führen zu massiven Muskelverspannungen und Schmerzen. Ich steuere auf den nächtsten Totalausfall zu. Langsam aber sicher. Und das will ich nicht. Nicht noch einmal, nicht sehenden Auges. Ich muss mich um mich selber kümmern. Es ist egal, wie sie sich entscheidet. Es ist egal, wie es weitergeht. Ich muss dafür sorgen, dass es mir gutgeht.
Es ist an der Zeit, langsam wieder die Zügel in die Hand zu nehmen und weiterzumachen.
Ein Lebewohl auf Vorstandsebene
Die letzten Nächte waren schlecht, die Tage nicht besser. Die Schritte aus dem Gebäude - der Abschied - die letzten Worte - die waren leicht. Beschwingt. Schwerelos, fast.
Ich habe alle meine Posten geräumt, meinem Nachfolger alles Gute gewünscht und alle Aktenordner voll mit Unterlagen einfach dagelassen.
Gezweifelt habe ich an der Richtigkeit dieser Entscheidung im letzten Herbst nie, nur die Gedanken an die letzte Zusammenkunft, die ich heute leiten muste, waren schwer.
Jetzt ist alles Schall und Rauch. Und das fühlt sich gut an.
Alltag, eine Art von...
Seit drei Wochen ohne starke Schmerzmittel.
Seit zwei Wochen fahre ich jeden Tag 2 x 4 km Auto - das sind 2 Mal ca. 5-10 Minuten Autofahrt.
Die Präsenz im Alltag nimmt zu und mein Körper kommt mit.
Nicht immer ohne Murren, aber doch stabil.
Überlastungen versuche ich zu vermeiden, ich sitze brav, aber dennoch zu selten unter meiner Heizdecke für die Schultern, ich mache jeden Tag meine Übungen, ich achte auf mich.
Die Tage um Weihnachten und Silvester waren anstrengend. Die Kinder sprudeln über und die Tage sind dicht und eng und voll. Ich bin froh, dass sie vorbei sind und der Alltag wieder einziehen darf.
Das Jahr wird anstrengend.
Es stehen uns einige Veränderungen ins Haus - wir steuern auf eine sehr eindeutige Autismus-Diagnose des zweiten Zusatzkindes hin und wahrscheinlich werden wir uns mit dem Thema Wohngruppe auseinandersetzen.
Die Kraft, die diese Familie aufbringen kann, um das massive Fehlverhalten von zwei Kindern zu kompensieren, ist erschöpft.
Wir sind heute nach langer Pause das erste Mal wieder bei der Supervision. Nach Uromas Tod und meinem Zusammenbruch war an die Fahrt und das Sitzen dort lange nicht zu denken. Auch heute habe ich Angst davor, so lange im Auto zu sitzen. Ich weiß nicht, wie die Bandscheibe darauf reagiert.
Ich strukturiere den Alltag so um, dass ich damit zurechtkomme.
Ich merke, dass meine Reserven nicht mehr vorhanden sind - es wurde so gut wie jedes Fünkchen Wollen und Können im Kampf gegen die Schmerzen aufgebraucht.
Also schaue ich auf die kleinen Dinge, die so existenziell wichtig geworden sind.
Ich kann seit letzter Woche nach über einem halben Jahr wieder schmerzfrei auf der Seite schlafen - meiner Lieblingsschlafposition.
Ich kann manchmal für einige kostbare Momente wieder im Arm des Mannes liegen.
Ich kann den Kopf wieder drehen - in jede Richtung, die ich will.
Ich kann sitzen. Durchaus auch schon wieder eine halbe Stunde am Stück.
Für den Moment ist das alles, was zählt.
Immer nur einen Schritt vor den anderen...
Begegnungen
"Huch.", sagt sie, nachdem wir uns begrüßt haben und sie an mir heruntersieht.
Ich bin komplett in dicke Winterkleidung gehüllt - insgesamt vier Schichten und sehe aus wie ein gigantischer schwarzer Marshmallow.
"Du bist so wenig geworden."
Ich blicke sie verblüfft an.
Niemand außer dem Mann hat die 20 Kilo Gewichtsabnahme bemerkt.
Niemand.
Ich hatte alle meine Bankgeschäfte erledigt und wollte gerade wieder den längeren Weg nach Hause im Nieselregen antreten, als ich ihr begegne. Was auf ihre nüchterne Feststellung folgt, sind 30 Minuten reines Seelengespräch.
Sie ist nervlich zusammengeklappt und stellt gerade ihr gesamtes Leben um und schmunzelt, als ich ihr von meinem Bandscheibenvorfall und meiner Arbeit am Gesundwerden erzähle. "Ausgerechnet du.", sagt sie nur trocken und ich weiß so gut, was sie damit meint. Mein Alltag war so minutiös durchgeplant, so voll, so komplex, dass den meisten Menschen schwindelig wurde, wenn sie davon mal einen Ausschnitt miterleben durften. Und sie kennt mich seit nun fünf Jahren nur so. Immer noch ein Projekt, immer noch mehr, immer perfekt, immer alles im Griff, immer...immer...immer...
Mein Leben der letzten Jahre auf den Punkt gebracht.
Und nun stehe ich da mit ihr im Regen und sie fragt ungläubig, wie ich es seit drei Monaten ohne Auto aushalten würde. Sehr schlecht, grinse ich schief. Jeder, der mich kennt, weiß, wie sehr ich das Autofahren liebe. Und wie mein Mann das verkraften würde? "Was denn?", frage ich zurück. Die Arbeit im Haus, Garten, den Tieren, dem Haushalt, den Ehrenämtern und mit den Kindern und die ganze Organisation und den Vollzeitjob und alles, was er sonst noch übernehmen musste? Nein, lächelt sie, sie meine, wie gut er mich seit drei Monaten in diesem Zustand ertragen könne...
Ich denke den gesamten Rückweg über das Gespräch nach.
Es hat mir gut getan.
Ich mag es, wenn Menschen kein Blatt vor den Mund nehmen.
Und ich mag sie, auch wenn wir eine schwierige Vergangenheit haben.
"Die Arbeit mit dir war einfach nur grässlich.", sagte sie mir irgendwann einmal und ich weiß das
Ich bin kein Teamplayer, das war ich nie. Meine Stärken liegen woanders.
Als wir uns verabschieden, umarmen wir uns kurz, aber innig.
Wir wünschen uns frohe Weihnachtsfeiertage und jede der anderen einen guten Weg für das, was wir gerade mit uns herumtragen.
"Ich weiß, dass du das schaffst. Auch ohne OP. Du bist ein Mensch, der schon aus reinem Trotz wieder ganz gesund wird, weil er sich selbst beweisen muss, dass er das kann.", sind ihre letzten Worte an mich und ich drehe mich nachdenklich um und gehe zum Fluss hinunter, meinen Heimweg antreten...