Blogeinträge (themensortiert)
Thema: out of order
Bergauf
Die Bässe von "Black Betty" hämmern in meinen Ohren, als ich meinen Körper unerbittlich den Berg hinauftreibe. Es tut weh. Alles. Die Beinmuskeln schmerzen unerträglich, aber die Nerven sind ruhig. Ich werde härter. Überall. Das Fett schmilzt in der selben Intensität wie sich alles an mir verhärtet. Nicht nur Muskeln, auch mein Wille. Es ist der unbändige Wille, nicht in diesem Zustand zu verharren. Weiterzugehen. Nicht in Aufopferung und Selbstverleugnung meine eigenen Grenzen übertreten, sondern sie ausdehnen. Nicht weil ich muss, sondern weil ich will. Aber nicht mehr für andere. Sondern nur noch für mich.
Es ist viel auf der Strecke geblieben seit ich Ende September zusammengeklappt bin. Seit ich laut weinend in der Küche saß und den Mann anschrie, dass ich dieses Leben nicht mehr ertragen kann. So gut wie alle Bekannte sind aus meinem Blickfeld verschwunden. Ich habe über 800 Kontakte in meinem Handy und ich kann an drei Fingern abzählen, wem es nicht einfach nur scheißegal war, dass ich zusammenbreche. Das ist hart. Sehr.
Ich habe die Einladung des Bürgermeisters immer noch im Regal an der Treppe liegen. Es war mir wichtig, als sie vor einigen Wochen gekommen ist. Heute nicht mehr. Vielleicht hatte es nie Relevanz und ich erkenne dies alles erst jetzt, wo ich gesundheitlich und nervlich mit dem Rücken zur Wand stehe.
Die Frau, mit der ich die letzten Jahre so eng zusammengearbeitet habe und zu der ich eine persönliche Beziehung aufgebaut habe, wie ich sie mir für mein Erwachsenenleben gewünscht hatte, ist einfach weg. Die vielen hundert Stunden, die wir zusammengesessen haben und Berufliches wie Privates geteilt haben, bildeten anscheinend in genau dem Moment keine Grundlage für eine Beziehung mehr, in dem ich kommunizierte, dass ich für den Arbeitsteil leider nicht mehr zur Verfügung stehe.
Es ist bitter, dass gerade dies so zuende ging. Es sticht.
Aus dem dauerlächelnden Wesen der letzten Jahre ist etwas anderes geworden.
Und ich mag es.
Hängepartie
Ich habe jetzt einfach keine Lust mehr.
Zart
Heute Nacht habe ich das erste Mal seit 9 Wochen meinen Kopf für einige Sekunden auf die linke Seite drehen können, ohne vor Schmerzen halb ohnmächtig zu werden.
Der Arm wurde zwar sofort taub , aber der Schmerz blieb aus.
Es verändert sich.
Die ausgetretene Gallertmasse der Bandscheibe drückt nach wie vor auf den Nervenstrang links und das Rückenmark, aber das Dauerfeuer an Nervenschmerzen, das bislang meine Tage bestimmte, wird schwächer.
Seit letzter Woche nutze ich ausschließlich die retard-Version der Opioide, seit drei Tagen lasse ich ein weiteres Schmerzmedikament weg.
Langsam, ganz langsam geht es bergauf.
Das neue Körpergefühl ist noch sehr zerbrechlich.
Eine falsche Bewegung und ich hänge für Stunden mit stechenden Nervenschmerzen in den Seilen.
Der Mann schmeißt den gesamten Alltag und ich konzentriere mich auf das, was mir gut tut.
Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben ohne zu versuchen, die Erwartungen anderer Menschen zu erfüllen.
Schilde
Wie immer , wenn meine Eltern Kontakt aufnehmen, geht es darum, so viel wie möglich zu vernichten.
Mit maximalem Kollateralschaden.
Dafür leben sie, davon zehren sie.
Die jüngsten Kontaktaufnahmen beantwortete der beste Anwalt dieser Welt: unserer.
Vorgestern wieder ein weiterer Versuch und ich merke, wie ruhig ich inzwischen dabei bleiben kann. Der Mann ist mein Schild gegen die beiden Soziopathen. Und unser rechtlicher Schild ist unser Anwalt.
Es hat viele Jahrzehnte gedauert, bis ich mich von der Angst nicht mehr steuern lasse. Zu viel ist vorgefallen, als dass mein Überlebensinstinkt nicht reagieren würde - in meiner Kindheit war das ein bitter nötiger Reflex, um mich zu retten - doch er löst nur noch selten kopflose Panik aus.
Trotzdem bin ich froh, wenn diese Sache hier ausgestanden ist und auch die allerletzte Verbindung zu meinen Eltern gekappt ist.
Außer Betrieb [Der Techniker ist informiert]
Meine neue Kernkompetenz besteht darin, nicht mehr belastbar zu sein.
Die Verantwortung und Mentallast, die ich nun so viele Jahre immer aufrecht getragen habe, erdrückt mich nun.
Ich bin auf Hilfe von außen angewiesen, weil Körper und Geist diesem Umfang an Verantwortung völlig den Dienst verweigern.
Möglich macht es der einzige Mensch, in dessen Nähe ich entspanne.
Der Mann.
Und ich habe beim besten Willen keine Ahnung, wie ich ihm das je danken kann.
Es macht mich sprach- und fassungslos vor Dankbarkeit und Liebe, was er gerade für Kopfstände macht, um mir genau diese Verantwortung vollumfänglich abzunehmen.
Ich bin am Tiefpunkt meines Lebens und am Ende jeglicher Belastbarkeit angelangt und da ist jemand, der mich auffängt.
Hält.
Einfach nur, weil er mich liebt.
Puderzuckerwelt [Winter is coming]
Das Wetter hätte mir heute kein schöneres Geschenk machen können als dieses:
Der Mann verließ das Haus und es fing an zu schneien.
Nicht nur ein bisschen, sondern riesengroße weiche Schneeflocken, die vom Himmel schwebten und die Dunkelheit in jene gespenstische Helligkeit tauchten, wie nur Schnee es vermag.
Die Kinder waren außer Rand und Band und wir verließen alle deutlich früher das Haus als sonst, nur um nach draußen zu kommen.
Mit den beiden Kleinen rollte ich auf dem Weg zur Schule eine riesige Schneekugel zusammen, die uns als Unterteil des ersten Schneemanns dieses Winters diente.
Leicht war der erste Gang im Alltag - und schön.
Nach Physiotherapie und einem Minimum an Haushalt und Adventskalender vorbereiten ist die Kraft schon wieder erschöpft und Körper und Geist müde.
So müde.
Tag keine Ahnung nach der Diagnose...
Keine Ahnung, wieviele Tage es inzwischen sind. 7 Wochen und ein bisschen.
Letzte Woche wurden die Nervenschmerzen in Dauerreizung wieder so schlimm, dass gar nichts mehr ging.
Nicht körperlich, nicht geistig.
Der Mann blieb schließlich eine volle Woche zuhause und ich ließ alles los.
Den Alltag, alle Aufgaben, restlos alles.
Ich schlief morgens aus, ließ den Tag so vor mir herplätschern und ging konsequent ins Bett, wenn mein Stresslevel meine Schultern wieder nach oben zog.
Meine Heilung machte vergleichsweise große Sprünge nach vorne und so ganz traue ich dem Frieden noch nicht.
Es gibt Stunden, in denen ich in der richtigen Haltung fast schmerzfrei bin und das ist etwas, das mir nach den letzten Wochen vor Dankbarkeit die Tränen in die Augen treibt.
Morgen geht der Mann den ersten Tag wieder zur Arbeit und ich habe bei Weitem nicht mehr so viel Panik davor wie noch letzte Woche, als das Aushalten von ununterbrochen starken Nervenschmerzen mir meine gesamte Kraft abverlangte.
Da war kein Platz mehr für Alltag oder die 6 Kinder und ihre Erlebnisse.
Es ging einfach nicht mehr.
Nun geht es voran. Langsam. Ganz langsam.
Das Autofahren ist nach wie vor in weiter Ferne, genau wie das Sitzen am Tisch oder das Arbeiten.
Von körperlichen Tätigkeiten ganz zu schweigen.
Aber ich habe Fortschritte gemacht.
Und alle Wünsche stehen hinter dem Einen zurück: keine Schmerzen mehr haben.
Rückschläge
Der Rückschlag kam unerwartet, hart und gemein.
Was als Erkältung begann, steigerte sich zu Ohrenschmerzen, Mandelentzündung und Husten. Leider hat das verkrampfte nächtliche Husten mir nicht nur die Muskeln gezerrt, sondern anscheinend auch die ausgelaufene Bandscheibe so unter Druck gesetzt, dass die Nervenstränge wieder voll abgedrückt wurden.
Kurzfristige Höherstufung auf das Maximum an Morphin, das ich hier zuhause nehmen darf und ... warten.
Jetzt, zwei Wochen später, ist es ungefähr wieder so wie vorher.
Ich habe jeden Tag durchgehend Schmerzen, gehe aber nicht mehr die Wände hoch, weil ich es nicht mehr ertragen kann.
Ich kann sitzen, aber nicht wirklich lange.
Die Schmerzmitteldosis ist inzwischen wieder halbiert, aber noch nicht wieder dort, wo ich vor der Erkältung war.
Alles in Allem ist es frustrierend.
Meine Ausdauer steigt.
11 Kilometer in strammem Marschtempo waren es vor einigen Tagen und das ist ein gutes Tagespensum für jemanden, der sich vor zwei Monaten auch für 100 Meter Luftlinie ins Auto gesetzt hat, weil das Zeit spart.
Zeit habe ich dank der Schwere des Vorfalls ja nun mehr als genug.
Meine Tage bestehen aus Laufen, Übungen, Arztbesuchen, Physiotherapie, Ruhephasen, die ich im Bett verbringen muss, weil ich nur da einigermaßen schmerzarm bin und ein wenig Haushalt.
Ich darf nichts heben, nicht putzen, mich nicht überanstrengen.
Also habe ich alle Zeit der Welt, mich auf meine Heilung zu konzentrieren und fühle mich dabei isoliert genug, um langsam wahnsinnig zu werden.
Mann und Kinder halten sich dabei besser als ich.
Die Arbeit ist verteilt, auch wenn die Hauptlast auf dem Mann liegt.
Renovierungen wurden ausgesetzt und auch wenn mich das aufregt - es bringt ja nichts.
Loslassen und Entspannen sind meine Mantras und egal wie sehr ich sie hasse, sie bilden meinen Weg.
Die Kinder helfen im Haushalt mehr als vorher schon und meckern nur sehr selten.
Auf vier von sechs Wunschlisten steht, dass sie sich vom Weihnachtsmann wünschen, dass mein Rücken wieder gesund wird.
Sie bringen mir meine Wärmedecke, versorgen mich mit Wasser und trösten mich, wenn ich mal wieder Hunger habe und nichts von dem, was ich gekocht habe, mitessen darf.
Meine Nerven sind dünn.
Der große Sohn leidet sehr darunter, dass unser Haus von Freitag bis Samstag nicht mehr der allwöchentliche Treffpunkt für ihn und seine Freunde sein kann und ich fühle mit ihm.
Ich weiß, wie wichtig diese Treffen sind und wie sehr die Jungs davon profitieren.
Aber ich kann nicht.
Ich halte vier oder fünf pubertierende Halbstarke (zusätzlich zu den sechs Kindern im Haushalt) im Moment nicht gut aus.
Sein bester Freund war letzte Woche das erste Mal wieder über Nacht hier und das ging ganz gut.
Wir steigern das langsam.
"Es braucht Zeit", seufzt meine gesamte Umgebung unisono auf mein Klagen und ich tue mich so verdammt schwer damit, diese Zeit einfach verstreichen zu lassen.
Ich komme mir unnütz vor.
Abgeschieden.
Ausgegrenzt.
Meine körperliche Leistungsfähigkeit ist einer der Grund- und Eckpfeiler meines Selbstbildes.
[Gewesen.]
1 Monat
Es ist heute einen Monat her, dass die Schmerzen so unerträglich wurden, dass ich mir am liebsten den Arm abgehackt hätte. Alles, nur nicht mehr diese Nervenschmerzen, die wie eine Mischung aus Elektroschock und Messerstich die gesamte linke Seite lahmlegten.
Seit drei Wochen hab ich meine Diagnose, seit drei Wochen arbeite ich an dem Scheiß. Und ja, es wird besser. Jeden Tag ein klitzekleines Bisschen. Ich habe gestern eine halbe Stunde auf meinem Schreibtischstuhl gesessen. Ohne aufstehen zu müssen, ohne Krämpfe, ohne Einschlafen aller Gliedmaßen. Das ist gut. Und ich bin müde. Ich will das nicht mehr. Ich bin erschöpft vom Gesundwerden und ich habe Hunger und will eigentlich nur mein altes Leben zurück.
Aber will ich das wirklich?
Mir kommen die Worte meines Hausarztes in den Kopf.
Manchmal bekommt man eine Chance, die zuerst gar nicht wie Eine aussieht. Und dann hat man die Gelegenheit, sein Leben komplett neu auszurichten. Oder so weiterzumachen wie bisher. Es ist Ihre Entscheidung.
Ich starre trotzig auf meine Buttermilch, auf die Unmengen von Tabletten, die ich jeden Tag nehme, auf meine Erinnerung für meine Übungen.
Und dann mache ich einfach weiter.
Jeden Tag ein bisschen.
Und immer nur einen Schritt zur Zeit.
So müde.
Mutlos
Keine Ahnung, ob es daran lag, dass ich vor zwei Tagen begonnen habe, die Morphium-Sachen alle wegzulassen, weil es mir so viel besser ging (haha) oder ob ich mich die letzten Tage im Haushalt überlastet habe (vermutlich dabei, federleichte Sachen in Zeitlupe von A nach B zu transportieren) oder ob sich die Bandscheibe irgendwie verlagert hat, auf jeden Fall habe ich die letzten beiden Tage immer stärker werdende Taubheit in den oberen Extremitäten gespürt. Kribbeln, Stromstöße, Taubheit, permanenter Schmerz, der sich immer weiter steigerte.
Gestern Abend bin ich wieder zu den Tabletten zurückgekehrt und nach einer schrecklichen Nacht geht es heute Morgen wieder einigermaßen.
Ich habe zwar Kopfschmerzen aus der Hölle, aber zumindest nicht mehr das Gefühl, ich muss gleich von einer Brücke springen, weil ich es ansonsten nicht mehr aushalte. Es ist dunkel dieser Tage.
Ich bin erschöpft, ich bin mutlos und Kraft ist auch nicht mehr viel über. Ich habe Angst, dass ich doch noch ins Krankenhaus muss und mir einen Teil der Wirbelsäule versteifen lassen muss, den ich noch sehr beweglich brauche. Ich fühle mich hilflos und überflüssig. Ich kann nichts tun, was für mich von Wert oder Bedeutung wäre. Ich fühle mich isoliert und vom Leben ausgeschlossen. Gleichzeitig schreit alles in mir, dass es viele Menschen viel schlimmer haben und ich mich nicht so anstellen soll.
Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.
woanders:
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Online seit dem: 21.04.2016
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Do what is right. Not what is easy.
you want. It doesn't matter anyway.