Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Gedankenchaos

Die Vorzeichen [Teil I]

Ich bin ein sehr vernunftbegabter Mensch. Nicht ohne Drama, aber doch durchaus vernunftbegabt. Ich weiß, dass es einen Namen für das Universum gibt, in das ich eingetreten bin, wenn ich mit meiner Großmutter mütterlicherseits zu tun hatte und der lautet: Aberglaube.

Nun verhält es sich mit Aberglauben aber so, dass er sich jedem logischen Denken erstmal verweigert. Programmierung von Kindern tut dann noch das Ihre dazu. Viele von uns kennen in der „Light“-Version auch als Erwachsene noch das schlechte Gewissen, wenn uns etwas Schlechtes widerfährt, weil wir als Kinder gelernt haben, dass „Der liebe Gott die kleinen Sünden sofort bestraft“ oder dass „Karma regelt“.

In einer pathologisch mystischen Welt aufzuwachsen, in der grundsätzlich alles ein Zeichen ist, ist maximal schwierig. Der Rabe da oben auf dem Dach? Jemand stirbt. Die schwarze Katze? Tod und Pech. Der Ruf eines Kauzes? Stirb. Eine Frau wünscht dir Glück? Schnell ins Haus verkrümeln. Über einen Kreuzschatten gehen? Um Himmels willen, leg dich gleich ins Grab. Bestimmte Schmetterlinge oder Spinnen? Dito. Mit dem linken Fuß aufgestanden? Nimm dir nichts vor, halt dich von deinem Partner fern. Vollmondtage? Jetzt wird's richtig wild.

Und da sind wir noch gar nicht bei abgebissenen Mausteilen und Eingeweiden zur Behandlung von Krankheiten.

Ich wurde mit einem sehr großen Blutschwamm geboren, der - Überraschung - natürlich ein Zeichen des Teufels war. Ich habe Augen, die in der Sonne fast orange leuchten - auch nicht gut.
Als ich als Kind mal eine Warze am Fuß hatte, die jeder Hautarzt gut hätte behandeln können? Kati wurde bei Vollmond in den Wald geschleppt, mit Tau gereinigt und in mit gegen die Strömung geschöpftem Flusswasser gewaschen, hat an einem Baum geleckt und wurde mit frischem Tierblut eingerieben. Danach wurde die Warze regelmäßig „besprochen“. Es hat sie leider nur nicht interessiert. Das war natürlich meine Schuld, weil mir der Glaube fehlte, also auch dafür wurde ich dann logischerweise mit dem Weiterbestehen der Warze bestraft.

Meine Hautkrankheit wurde mit Maschinenöl behandelt. Das hat nämlich dem Onkel einer verstorbenen Witwe, die damals einem Schäfer begegnet ist und danach ein rothaariges Kind bekommen hat, super geholfen.
Ausschlag bei Viruskrankheiten, die ich ja ohnehin alle ungeimpft durchmachen musste, weil das das Immunsystem stärkt? Wir schneiden einfach die Haut ein und werfen das Kind in kaltes Meerwasser, damit das Salz alles Teuflische wegbrennt.
Fieber? Husten? Lungenentzündung? Eisbaden. Bei Vollmond.

Bei jedem Besuch wurden meine Handlinien ausgiebig gemustert, mit viel Gemurmel und unheilschwangerem Klagen ausgelesen und geweint, warum ich so ein Unglückskind sei.
Das macht was mit Kindern. Bei allem, was mir später widerfahren ist, war mir klar, dass ich für irgendetwas bestraft wurde. Also war es ja auch nicht falsch. Ich wusste zwar nicht, wofür ich bestraft werde, aber ich würde es schon verdient haben. Die grundlegenden Prinzipien von Karma und Zeichen und Vorahnungen und Prophezeiungen wurden mir schließlich von Geburt an nachhaltig eingetrichtert.

Ich habe sehr viele sehr liebevolle Erinnerungen an meine Großmutter und ich bin stolz auf meine Herkunft. Auf diesen Teil hätte ich trotzdem gerne verzichtet. Als sie früh an Krebs starb, war ein Teil von mir froh, dass ich keine Angst mehr vor ihr würde haben müssen.

Je älter ich wurde, desto mehr stellte ich in Frage. Je mehr ich sah, wahrnahm, wie ungerecht und unfair das Leben nun mal ist, desto mehr zweifelte ich. Warum sterben Kinder im Mutterleib? Warum erkranken Babys? Warum müssen unschuldige Kinder leiden? Wenn das einen „Grund“ haben sollte, würde er sich mir nie erschließen. Wenn eine höhere Instanz aktiv dafür sorgte, dass jeder kleine und noch so menschliche Fehler bestraft würde, wäre das keine Instanz, der ich mich freiwillig unterstellen würde.

Noch später schaffte ich einen weiteren gedanklichen Schritt. Wenn doch alles bestraft würde - warum kamen dann oft die grausamsten Menschen mit ihren Taten davon? Warum wurden Verbrecher so alt? Warum blieben Menschen glücklich und gesund, die andere Menschen ins Verderben gestürzt hatten?
Warum werde ich mit einem Unfall dafür bestraft, dass ich vom Kuchen genascht habe und Menschen, die anderen Menschen absichtlich wehtun, leben unbehelligt ihr Leben weiter?

Es sollte noch sehr lange dauern, bis ich das sortiert bekommen würde.
In der Zwischenzeit hatte ich Geld im Portemonnaie, falls der Kuckuck rufen sollte, machte Umwege um Leitern, schwarze Katzen, Spiegel und Eulen, machte Dinge lieber mit linken Händen oder rechten Füßen, am liebsten bei Vollmond oder auf gar keinen Fall währenddessen, freute mich über jede Bachstelze, sprach nicht mit ihrem Namen von Verstorbenen, warf Salz über Schultern, spuckte auf Dinge, hielt mich von Blumen auf Friedhöfen fern, legte niemals eine offene Handtasche auf den Fußboden, sah mir grundsätzlich keine Handflächen von Menschen an und klopfte viel auf Holz.

Das Leben im Aberglauben, wenn er so sehr Obsession ist wie das bei meiner Großmutter und ihrer Familie der Fall war, ist kein sehr Entspanntes. Es ähnelt einem Spießrutenlaufen um jedes mögliche Zeichen, um bloß nichts zu übersehen. Weder im Guten noch im Schlechten.

Der kupferne Glückspfennig auf dem Weg, das Hufeisen, das Kleeblatt, das man womöglich übersehen würde, zerbrochene Dinge bitte nur aus Keramik, auf gar keinen Fall aus Glas, sonst wird aus Glück plötzlich Unglück oder im schlimmsten Fall des Spiegels zerreißt es auch noch über Jahre deine Seele in so viele Abbilder wie Scherben - es ist sehr anstrengend, die Omen alle zu sehen und dabei das Schicksal nicht zu verstimmen.

Während ich dies schreibe, überlegt ein Teil von mir, wie wahnsinnig oder zutreffend es ist, diesen Text an einem 13. zu veröffentlichen.

Kati 13.04.2023, 10.46 | (5/0) Kommentare (RSS) | PL

Wachstum.

Garten. Endlich wieder in den Garten. Gestern kamen die letzten Pflanzen, die ich im Januar vorbestellt hatte und unter anderem auch die vier Rosen, die auf den Gräbern von Kasimir und Schnuppe wachsen sollen.

Das Buddeln im Garten tut so gut.
Endlich wieder Wachstum und Leben nach all dem Tod und Verfall der letzten Monate.

Ich habe lange überlegt, was ich mit dem Geld mache, wenn es erst mal da ist und dachte, ich würde es handhaben wie üblich. Aber ich habe die letzten Jahre Revue passieren lassen und nichts von alledem (bis auf ein paar Ausnahmen) hat mich wirklich befriedigt. Ich liebe helfen, aber ich vermute, ich bin deutlich weniger altruistisch als ich dachte.

Seit 15 Monaten kaufe ich jeden Tag einem fremden Menschen etwas von seiner Wishlist und dieses Jahr wollte ich das fortführen, aber hier menschelt es bei mir gerade deutlich. Darum habe ich es gestoppt. Ich mag kein Riesenbohei, aber ab und an ein Danke wäre nett gewesen oder zumindest das Wissen, dass es angekommen ist oder… ach, die Liste ist lang.

Rechnungen, die ich übernommen habe, egal ob Stromnachzahlung, OP-Kosten für Tiere, Hilfsmittel für alte Hunde, Anwaltssuche… die Tausender, die da über den Tisch gingen, waren die unbefriedigendsten.
Und ich habe den Anspruch an mich selber, dass es reicht, dass ich (vielleicht) einen Unterschied mache, aber ich fürchte, ich habe mehr als nur ein Minimum an Ego in der Hinsicht.
Vielleicht einfach nur die Rückmeldung, dass es nicht egal war.
Aber auch das ist in vielen Fällen zu viel verlangt.
Offensichtlich. Ein Geschenk ist ein Geschenk.
Kein Handel.
Meine oberste Richtlinie.
Aber wenn es doch als Selbstverständlichkeit betrachtet wird - ist es dann überhaupt noch ein Geschenk?
Ich muss an diesem Punkt in mich gehen.

Ich denke, ich habe meinen Beitrag geleistet, was weitestgehend fremde Menschen angeht und die Frage, wie man Schuld sühnen kann, ist immer ein Thema in meinem Leben.
Vielleicht wird es Zeit, sich wieder in kleineren Kreisen zu bewegen. Denn das ist da, wo meine Freude aufleuchtet. Das widerspricht elementar dem Anspruch, dass ein Geschenk keine Gegenleistung erfordert, aber ist es denn wirklich schlimm, wenn ich Zufriedenheit daraus ziehe, dass jemand anderes sich freut?
Was ist noch Empathie, wo fängt der Narzissmus an?
Grau. Ich muss im Grau bleiben.
Vielleicht ist auch das hier nicht schwarz und weiß.

In der Zwischenzeit arbeitet das Geld für mich und ich tue das, was ich gut kann und mir so lange verboten habe: Ich vermehre es. Jeden Tag ein bisschen. Auch das ist vielleicht eine Erkenntnis, die bis heute reifen musste. Ich darf reich sein. Ich darf mich reich fühlen und ich darf Spaß daran haben, mit Geld zu arbeiten und es zu besitzen ohne moralisch gleich der letzte Arsch zu sein.

In letzter Zeit wieder ein paar zu viele spitze Bemerkungen zum Thema Hausfrauendasein gehört, die ich für mich noch verarbeiten muss.
Ja.
Was mache ich schon den ganzen Tag…

Kati 17.03.2023, 10.23 | (6/0) Kommentare (RSS) | PL

Öffentlich

In den letzten Wochen war da so viel Häme, so viel offener Hass, so viel Ablehnung, so viel Drohung, dass ich sehr damit gehadert habe, sichtbar zu sein.

Einige nachhaltige persönliche Enttäuschungen, die mir nur ein weiteres Mal gezeigt haben, wie egozentrisch und unsicher Menschen sind und wie schnell sie dir den Rücken kehren, wenn du dich nicht verhältst, wie sie es gerne hätten, wobei sie selber diese Freiheiten natürlich einfordern und sich zweifelsohne zugestehen. Wenn jemand anders verletzt wird, muss er halt damit klarkommen, aber wenn es einen selber mal trifft, dann muss sich bitte die Welt neu ausrichten.
Menschen, die immer gerne alles nehmen, was ihnen zum Vorteil gereicht, aber wehe, es kommt zu irgendeiner Art von Einschränkung der eigenen Bequemlichkeit oder des besteht die Notwendigkeit, mal kurz über den eigenen Tellerrand zu schauen.

Die offen zur Schau getragene selbstverliebte Bigotterie einiger Menschen macht mich fertig. Vermeintlich unfehlbar zu sein und gleichzeitig auf dem hohen moralischen Ross sitzend alle anderen dafür verurteilen, dass sie es nicht sind.
Ich bin so durch mit Menschen.

Ich weiß nicht, warum jemand mich mögen könnte. Es erschließt sich mir nicht. Ich bin so unperfekt, so strauchelnd, fehlbar, ich sehe weder besonders gut aus noch habe ich für irgendein Problem eine Lösung, auf die nicht schon Millionen Menschen vor mir gekommen wären, ich habe eine problematische Vergangenheit, ich bin innerlich so kaputt, dass ich meiner Umgebung maximal so etwas wie Sensationsgeilheit unterstelle, aber Sympathie?

Man braucht ein dickes Fell, wenn man öffentlich ist und je mehr Leute zuschauen und sich ein Urteil bilden, desto mehr muss man sich abgrenzen. Aber das kollidiert maximal mit meinem Bedürfnis, sichtbar, offen, verletzlich und zugewandt zu bleiben. Was mache ich also?

Ich habe noch keine Antwort gefunden.
Es gibt natürlich die, die vom Drama angelockt werden. Die, die nachfragen, täglich, mehr Informationen wollen. Die, die Geld wollen. Die, die einen Rat wollen, die sich von meiner Größe angezogen fühlen und auch mal mit der supercoolen Jadekompendium interagieren wollen und alles davon macht mich fertig. Ich bin nicht besonders. Ich will keinen Fame, keinen Jubel. Aber ich mag auch nicht nur Projektionsfläche für das sein, was Menschen in mich hineininterpretieren. Die Anliegen, die jeden Tag mein Postfach überschwemmen, überfordern mich.

Dann denke ich an die Menschen, die ich hier kennengelernt habe und auf die das nicht zutrifft. Meinen Elch in der Dose. Mein Holzkreuz. Die Briefe. Die Hummel und der Bär in meiner Handtasche. Die vielen zugewandten und aufrichtigen Worte, die wie Balsam für meine Seele sind. Meinen abendlichen SafeSpace, der aus einigen Menschen besteht, die ich bei einer ZombieApokalypse definitiv an meiner Seite haben wollen würde. Die Echten. Die, die bleiben werden.
Und ich weiß wieder nicht, was ich tun soll.

Der Mann und ich haben die Abmachung, dass wir jederzeit alle öffentlichen Brücken hinter uns abbrechen können und keinerlei qualitative Einbußen in unserem Leben hätten und das ist der Punkt, der mich davon abhält, dem Wahnsinn anheim zu fallen. Ich kann jederzeit alles löschen, verschwinden, neu anfangen oder auch nicht, es macht keinen Unterschied.

Die Wichtigen werden bleiben.

Kati 16.03.2023, 08.04 | (8/0) Kommentare (RSS) | PL

Scheideweg

Natürlich weiß ich, was ich tue.
Ich nehme mir ein Stück meiner Außenregulation weg.
Mich öffentlich sichtbar zu machen, mich stetig in meinen Handlungen zu hinterfragen, alles immer von allen Seiten so zu betrachten, dass ich zwar in der Verletzlichkeit und im Grau bleibe, aber nur soweit, dass ich die Maske der Zivilisation noch aufbehalte, hilft mir mein Leben so zu leben, wie es richtig ist. 

Ich habe kein Gefühl dafür, was richtig und falsch ist. Ich habe das mühsam erlernen müssen. Meine moralischen und ethischen Maßstäbe sind ein auswendig gelerntes und stetig intern diskutiertes intellektuelles Konstrukt und ich weiß das gut.
Ich kann den inneren Spott körperlich fühlen, der mich durchflutet, während ich das hier schreibe.

Wir sind alle nur Tiere.
Unser Neocortex ermöglicht uns das, was wir Zivilisation nennen, aber es braucht weiß Gott nicht viel, in einem Menschen nur noch das Stammhirn leuchten zu lassen.

Der Tanz auf meinem ganz persönlichen Vulkan ist, die obere Gehirnregion ein ganz kleines Stück loszulassen, um ins Gefühl zu kommen. Ins echte Gefühl, das nicht gleich von Verzweiflung überschwemmt wird und mich eine Etage tiefer rutschen lässt. Gefühl ist für mich immer auch Hilflosigkeit.

Der morgendliche Ausbruch in Tränen zeigt mir zumindest, dass ich auf dem richtigen Weg bin, auch wenn ich noch nicht weiß, worum ich weine.

Kati 14.03.2023, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Für mehr Grau

Ich mache das gut.
Ich bin hier.
Ich laufe nicht weg.

Der Drang nach dem Abschluss meines momentanen Lebens und einem Neubeginn in absoluter Anonymität ist aktuell stärker denn je. Ich habe gestern nicht meine Koffer gepackt, unsere Konten leergeräumt, die Hunde und Tourbus genommen und bin nicht einfach weit weg gefahren. Ich habe nicht meine gesamte Internetpräsenz gelöscht, habe nicht die Gilde aufgelöst und meine Notfall-Sicherheitsalternativen aktiviert.

Ich bin noch da.
Der Drang nach dem Schwarz und dem Weiß ist so stark. Es frisst mich auf. Ich muss unterscheiden können, was richtig und was falsch ist, es darf keine Zweifel, keine Zwischentöne, keine Abstufungen, nur diese beiden Extreme geben. Extreme bieten innere Sicherheit, immer. Ist etwas nicht ganz richtig, ist es automatisch falsch. Hat etwas Gutes einen Makel, ist es schlecht.

Ich kenne meine Mechanismen, natürlich. Habe in den vergangenen Wochen erstmals wieder über Medikation nachgedacht, die mich in der verhassten mittelmäßigen Tristesse der tablettenförmigen Gehirnregulierung hält und alles nur noch als mittelschlimm, mittelgut, mittelschlecht empfinden lässt und verglichen mit meinem strukturellen Gefühlsempfinden mein Leben etwa so aufregend wie eine Scheibe Toastbrot erscheinen lässt. Ich weiß aus bitterer Erfahrung, dass gerade diese Regulation mich hoffnungslos macht, weil mein Leben in seiner gefühlt gleichförmigen Glückseligkeit sinnlos erscheint. Ich verschwinde, jeden Tag ein bisschen mehr, bis irgendwann die Teile übernehmen, die darauf nicht ansprechen.

Das Wissen darum, dass ich Ärzte habe, die mir jederzeit alles Vertretbare möglich machen, schafft etwas Erleichterung, immer einen Tag weiter ohne sie zu schaffen. Ohne Schlafmittel, ohne Beruhigungsmittel, ohne Betäubung, ohne Beeinflussung meiner Gehirnchemie.

Fünf Jahre ist es her, dass ich diese Instanz zum letzten Mal betreten habe und es war ein harter Weg, da wieder rauszukommen. Ich fühle mich noch nicht verzweifelt genug dafür.

Aber ich brauche mehr Grau.
Es ist das, was ich am wenigsten will und das, von dem ich weiß, dass ich es am nötigsten brauche.
Es ist okay, wenn es sich gerade alles nicht gut anfühlt.
Es ist okay, wenn ich weglaufen will. Ich muss es nicht tun.
Es ist okay, wenn die schwarzweißen Gedanken kommen, ich muss mich nicht für eine Seite entscheiden.

Ich darf im Grau bleiben.

Kati 14.03.2023, 08.00 | (0/0) Kommentare | PL

Stephan.

Die Nacht war hart. Alles mit den Träumen der Babys ist hart. Heute war es zwar mein Eigenes, aber es sah aus wie Stephan. Er war es. Und er war es wieder nicht. Ich habe ihn schreien gehört, wie jede Nacht, aber diesmal war das kombiniert mit einer der Feuerübungen, die ich machen musste, ich war also wieder in dem verqualmten Raum in dem schwedischen Haus eingeschlossen, aus dem ich mich befreien musste, weil mein Vater die Abzugsklappe des Kamins im Zimmer nebenan zumachte, dann Feuer entzündete aber statt nur mich selber retten zu müssen, schrie ununterbrochen das Baby, von dem ich nicht wusste, wo es sich befindet.

Die letzte Übung dieser Art ist jetzt fast 3 Jahrzehnte her, Stephan noch mal viele Jahre weiter zurück und trotzdem…
Zumindest die Erinnerungen an den Traum verblassen mit zunehmendem Tageslicht, die Echten bleiben mir erhalten.

Mein Vater liebte die psychischen Versuchsaufbauten. Es faszinierte ihn zeitlebens mehr als jede andere Kategorie. Wie lange hält ein Kind Schmerzen aus, wenn man ihm den Ausweg gibt, es in Ruhe zu lassen, wenn es selber stattdessen einem anderen Wesen Schmerzen zufügt? Wie weit kann man das steigern? Wie lange muss man eine Fünfjährige foltern, deren einziger Ausweg ist, dasselbe einem Baby, einem geliebten Tier, einem Gleichaltrigen anzutun?

Ich weiß nicht, was mit Stephan ist. Aber ich kann seine Schreie hören. Immer.

Kati 13.03.2023, 08.02 | (3/1) Kommentare (RSS) | PL

Rückwärts

Vielleicht habe ich inzwischen die Einsicht erlangt, dass mit deinem Tod etwas angestoßen wurde, das ich weder lenken noch aufhalten kann. Und um ehrlich zu sein: Ich möchte das nicht. Ich mag die Erinnerungen nicht sehen, ich mag die Veränderungen in unserer Persönlichkeitsstruktur nicht, ich diffundiere; und dort, wo immer harte Grenzen waren, leuchten nun pulsierende bunte Durchgänge, durch die ich nur gehen müsste, wenn ich wollte. Ab und zu schwappt von einem Raum etwas in einen anderen, was dort überhaupt nicht hingehört und ich bin den Großteil meiner Zeit damit beschäftigt, Lücken im Tagesablauf zu verstehen. Ich möchte das nicht mehr. Zweifelnde und ablehnende Gefühle, die nie meine waren, vermischen sich nun mit der klaren Liebe und Vorstellung meines aktuellen Lebensentwurfs. Umwälzung, von Innen, die meiner Befürchtung nach bald das Außen erreichen wird. Der Kopf weiß um meine Entscheidungen, um 18 Jahre Beziehungs- und Familiengestaltung und doch flammt Abwehr von ganz tief unten auf. Mit jeder Erinnerung, mit jeder meiner Schwächen nimmt sie mehr Raum ein, greift um sich, erobert sich Platz und Macht. Zurück? Ich weiß es nicht. Habe ich Angst um meinen Platz? Ja. Vermutlich. Natürlich. Ich bin das Operating System. Was, wenn ich stürze?

Kati 12.03.2023, 08.27 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Warum?

Warum lösen sich gerade so viele Dinge aus ihren verfickten Ankern? Warum kommen so viele Erinnerungen, gut gesichert und mit jahrelanger Hilfe und beschissen harter Arbeit weggepackt, wieder nach oben geschwommen? Warum immer in den unpassendsten Momenten? Warum kickt ausgerechnet jetzt gerade die Vergangenheit an jedem Tag? Warum ausgerechnet, wenn ich gerade das Gefühl habe, wieder minimal atmen zu können? Warum?
Ich kann und ich will nicht mehr. Ich hab mir das nicht ausgesucht und stehe an manchen Tagen gefühlt nur deswegen auf, um gegen die Erinnerung anzukämpfen, was mir angetan wurde. Ich habs so satt. Ich kann Gefühle kaum noch ertragen. Öffne ich mich einem, kommen sie alle. Ich kann nicht mehr.

Kati 07.02.2023, 12.53 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Der Sabotagefaktor

Ich weiß nicht ganz genau, warum ich misslungen bin. Ich ahne es aber, inzwischen. Nach Jahrzehnten Therapie, Supervision, eigenem Studium, Selbstreflexion.

Und was mich daran fast amüsiert, ist, dass mein Vater, der meine Programmierung so akribisch geplant und überwacht hat, dass keine menschliche Schwäche ihm von außen einen Strich durch die Rechnung machen würde, an genau diesem Punkt scheiterte: An der Schwäche meiner Mutter. 

Ich vermute, dass er Vieles mit eingeplant hat, aber nicht die sein Kind sexuell missbrauchende Ehefrau, die sein Projekt über Jahre heimlich mit ihren eigenen Obsessionen sabotiert hat. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mein innerer Systemaufbau in völlig unkontrollierten Bahnen verlief, die er durch die vermeintlich sichere Umgebung zuhause bei meiner Mutter nie hätte vorhersehen können. 

Meine Mutter, die immer wieder neue Krankheiten, Symptome und Schwierigkeiten erfand, damit ich vor ihren Augen nackt von fremden Ärzten untersucht werden konnte und sie dies zuhause im Rahmen ihrer „Behandlung“ mit mir nachspielen konnte, aber ohne, dass mein Vater etwas davon erfahren würde, er sollte sich ja schließlich keine Sorgen machen. Das ging lange Jahre gut. Sehr lange Jahre. War ich mit meinem Vater zusammen, war ich vor meiner Mutter sicher und egal, was er getan hat, er hat mich nie - nicht ein einziges Mal - in sexueller Weise berührt oder betrachtet. Vielleicht mag das absurd klingen in Anbetracht dessen, was mein übriges Lebenstraining war, aber der Verrat meiner Mutter wog für mich immer so unendlich viel schwerer. 

Es ist schwer für mich, das in Gänze anzufassen, ohne in den Strudel zu geraten, weil so vieles im Verborgenen liegt. 

Das ist okay. Ich habe gelernt, die Angst, was irgendwann hochkommen könnte, auszuhalten. Es ist wie es ist und es wird, wie es sein soll.

Wir waren im Garten, als ich das erste Mal mit meinem Vater über meine Gefühle sprach. Darüber, dass ich nicht mag, wie Mama mich anfasst. Dass ich versuche, sie abzuwehren, aber sie nicht aufhört.
Ich weiß nicht, ob er schon damals verstand, dass sein Projekt scheitern würde und dass dafür zu einem nicht unerheblichen Teil die Frau verantwortlich war, die er nach Intelligenzquotient und genetischer Veranlagung auswählte und für geeignet hielt, seine Gene weiterzugeben. 

Er machte oft Witze darüber, dass sie mit ihren gerade mal knapp über 140 IQ-Punkten das Dummerchen der Familie war, aber er sie ja ausgleichen würde. Aber ihre Olympia-Teilnahme, der Körperbau, die Genetik, das konnte er nicht kleinreden. Das war das Pfund, mit dem sie wuchern konnte.

Dass sie ein pädophile Narzisstin war, gereichte uns vermutlich beiden zum Nachteil.
Ich habe irgendwann angefangen, ihre Hand mit aller mir verfügbaren Kraft wegzuschlagen und wegzulaufen. Habe mich verweigert, wurde dafür mit Schweigen und Verachtung gestraft. 

Als ich weggelaufen bin, nachts frierend und weinend und meinen Traum aus den Büchern träumte, dass man mich suchen und finden und mit Liebe willkommen heißen würde, habe ich nach einigen Tagen und Nächten eingesehen, dass nichts davon passieren würde.
Man hatte keine Polizei verständigt, man hatte sich keine Sorgen gemacht, meine Rückkehr wurde mit verächtlichem Schnauben quittiert.

Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn meine Mutter nicht ihr eigenes „Projekt“ mit mir am Laufen gehabt hätte? Wenn ich bei zwei Menschen aufgewachsen wäre, die weniger Geheimnisse voreinander gehabt hätten und weniger mit ihren eigenen seelischen Untiefen beschäftigt gewesen wären? 

Ich wäre vielleicht genauso perfekt geworden wie H..
Wir mussten so oft gegeneinander antreten, standen uns in nichts nach, aber in ihr entwickelte sich irgendwann das Projekt Elitemensch zum Selbstläufer. In mir nicht.

In mir nicht.

Kati 02.02.2023, 14.40 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Die Filmspulen

Meine gesamte Kindheit ist auf Film, Dias, entwickelten Bildern und in Tabellenform festgehalten. Minutiös. Ich habe Dokumente, die besagen, wann ich wieviel Milch getrunken habe, wann welches Kindermädchen für mich zuständig war, selbst bei meiner Geburt gab es eine Tabelle zum Ankreuzen, wieviel Zentimeter, wieviel Gewicht und welcher der zwei männlichen und zwei weiblichen Namen nun gewählt wurde. Hinter der Geburtskarteikarte findet man ein gedrucktes Blatt, das mir die Wochentage meines Geburtstags auf 100 Jahre voraussagt. In den Jahren danach häufen sich Gewichts- und Messtabellen, Fähigkeiten, Auffälligkeiten, körperliche Eigenschaften, durchgemachte Kinderkrankheiten mit Fotos vom Krankheitsverlauf, alles immer Ganzkörperfotos, nackt, schreiend, weinend, behandelt werdend. Irgendwann wird diese Dokumentenreihe abgelöst durch IQ-Testergebnisse, Fotos, Zeitungsartikel, Haufenweise Notizbücher mit Tabellen zu Versuchsreihen und Inhalten, die sich mir nicht erschlossen haben.

Eine Besonderheit hierbei sind die Filmspulen. Wir hatten so viele davon. Die Filme haben wir uns bei Dia-Abenden manchmal noch angesehen. Meistens zeigten sie mich in Urlauben, beim Bootfahren, beim Wasserski, beim Angeln, beim Jagen, im Schwimmtraining, im Wald, beim Ausweiden von Tieren, beim Überlebenstraining. Einmal sogar auf einem Spielplatz in Frankreich mit ganz vielen Menschen, die mich offensichtlich kannten und vertraut mit mir umgingen, die ich aber nicht zuordnen konnte.

Als wir ins große Haus zogen, war ich noch deutlich länger alleine als vorher schon und wenn ich mittags aus der Schule kam, dann hatte ich noch 5 Stunden vor mir, bis jemand kam.

Ich durchsuchte vor Langeweile im Laufe der Monate also neugierig unseren gesamten Besitz.
Das meiste davon war nur minder interessant. Die Pornosammlung meiner Mutter, die meines Vaters, die Sexspielzeuge, die Untiefen der Charaktere meiner Eltern.

Irgendwann kruschte ich auf dem Mini-Dachboden des Hausvorbaus herum, ganz hinten, wo die verschlossenen und zugeklebten Kisten standen. Und da waren sie. Kisten voll mit Fotos, mit Dias, mit Büchern, mit Filmspulen. Unbeschriftet. Was in unserem Haushalt ganz und gar ungewöhnlich war. 
Ich fand Bücher über die Entwicklung des Gehirns bei Babys und Kleinkindern, psychologische Abhandlungen über psychische Störungen und Strukturen, für mich damals noch kein Puzzleteil, nur unbedeutendes Zeug.

Aber die Filmspulen. Die musste ich mir ansehen. Zu meinem Erstaunen waren es Filme mit dem Mädchen, mit dem ich aufgewachsen war. „Katinka, Katinka!“, konnte ich ihre Stimme förmlich hören, als die Bilder zu laufen begannen, selbst ohne Ton. Wir waren die ersten Jahre unseres Lebens jeden Tag zusammen gewesen, in jedem Urlaub, mehr als beste Freundinnen, mehr als Schwestern, mehr als Gefährten. Sie war ich, ich war sie.

Und es war noch jemand auf den Spulen zu sehen. Jemand, der aussah wie ich.

Ein Mensch, der exakt mein Aussehen besaß und fremder nicht hätte wirken können.
Nach dem ersten Ansehen legte ich alles ordentlich weg, baute die Apparatur zurück, nahm die Leinwand ab, verschloss die Kisten sorgfältig wieder und verdrängte, was ich gesehen hatte.

Einige Jahre später habe ich die Kisten wieder geöffnet. Aber es wurde nicht vertrauter. Dieser Mensch sah aus wie ich.
Aber er war nicht ich. Er hatte Spaß am Quälen. Er hatte Spaß am Leid anderer. Er zuckte nicht zusammen, als die Peitsche kam. Nicht, als der Stock kam. Nicht, als die anderen gequält wurden. Das Gesicht, das ich jeden Tag im Spiegel sah, flimmerte dort völlig ausdruckslos über die Leinwand. Ich konnte weder so schnell rennen noch konnte ich so präzise schießen. Ich wäre beim unter Wasser drücken schon längst in Panik geraten, ich hätte schon geweint, als ich das kleine Tier gesehen hätte, das war definitiv nicht ich.

Das war ein Monster.

Aber es war in meinem Körper.

Kati 01.02.2023, 17.38 | (0/0) Kommentare | PL




Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


woanders:




















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Do what is right. Not what is easy.