Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Gedankenchaos

Die Schießbude.

Wir waren noch nicht sehr lange zusammen, da bummelten der große hübsche Mann und ich über eine Festwiese.
Fahrgeschäfte, Imbissstände, Spielbuden wohin man sah.
Und ich betete und hoffte inständig, dass der Status unserer Beziehung, der noch zu einem großen Teil aus Werben und Beeindrucken bestand, trotzdem nicht dazu führen würde, auch in dieser Beziehung den Supergau erleben zu müssen:

Die Schießbude.

Wir schlenderten also so umher und kamen an einigen Schießbuden vorbei und nach jeder konnte ich etwas weiter aufatmen. Gottseidank...
Mit Grausen erinnerte ich mich an die Male, die ich im strömenden Regen neben irgendeinem wütenden Mann stand, der verzweifelt versuchte, ein Schaf, einen Stern oder sonstwas abzuschießen.
Das eine Mal, das ich noch Geld leihen musste, um weitere Schüsse zu finanzieren, damit ich auch das bekomme, was ich mir ausgesucht hatte.Es hat nie geklappt.

"Die ist total verzogen." "Die schießt nicht richtig" "Was ist denn das für ein billiges Ding" - ich kenne alle Ausreden, denn ich habe sie alle schon gehört.
Dabei bin ich nie sonderlich scharf drauf gewesen, an so einem Stand zu stehen.
Aber es scheint ein Männergen zu geben, dass Männer beim Anblick von Waffen, Plüschtieren und weiblicher Begleitung dazu animiert, auf kleine Plaketten schießen zu wollen.
"Such dir was aus, ich schieß es dir!" ist definitiv mein meistgehasster Satz in einer Beziehung.

Einmal sind wir als vier Pärchen auf einen Rummel gegangen und mein Freund war der Einzige, der exakt nichts getroffen hatte.
Er bekam dann eine dieser zerfledderten Plastikrosen, die er mir auch noch überreichen wollte.
Ich zog eine Augenbraue hoch und er ließ sie in den nächsten Mülleimer fallen. Die Beziehung dauerte nicht mehr allzulange.
Im Grunde hätte es vielleicht ein Omen sein können, dass der Soldat an meiner Seite, der mit markigen Sprüchen gegenüber Schießbudenbesitzer und mir, dass er schon ganz andere Dinge erschossen hätte, keine einzige Plakette traf.
400 nachgekaufte Schüsse später war mir kalt, meine Laune im Keller und ich nahm das erste Mal in meinem Leben mit einem gequälten Lächeln 27 Plastikrosen, die ich zuhause entsorgte und sagte: "Das war ziemlich beeindruckend, Hase."

Ich hätt den Mann vielleicht nicht auch noch heiraten sollen.
Übrigens war die Waffe schuld. Natürlich.

Der Mann davor war ein sehr bekannter Kickboxer, der so ziemlich alles und jeden traf und bei dem ich mir relativ sicher war, dass er auch den rosa Plüschelefanten bekommen würde, den ich mir aussuchen sollte.
Er hatte mehrere Tage danach Erektionsprobleme und auch als ich irgendwann mit ihm Schluss machte, steckten die Plastikrosen vom Desaster noch hinter dem einen Bild, wo er sie nach meiner Ablehnung untergebracht hatte.
Ich war 18 und es war eine völlig neue Erfahrung, einen Mann wegen einer Plastikrose weinen zu sehen.
Ohne dass ich es wollte, hatten sich Schießbuden für mich zu einer Art Beziehungsindikator entwickelt.
Ablehnen führte meistens zu einem handfesten Streit, weil die Männer da irgendwie borniert sind oder zu dem noch fordernderem Drängen, mir doch bitte irgendein großes Plüschtier auszusuchen.

Also akzeptierte ich diesen seltsamen Teil meines Lebens, ohne ihn zu befürworten.
Kurzum: ich hatte ein Trauma.

Beim großen hübschen Mann war es mir wichtig, dass es gar nicht so weit kommen würde.
Und so hatten wir das Ende des Rummels auch schon erreicht und ich dankte Gott, dem Himmel, allem, was ich so hatte, dass dieser Kelch an mir - uns - vorüberging.
Überlegte, ob ich noch einen kandierten Apfel mit auf den Heimweg nehme und wartete auf den allerletzten Stand, der meines Wissens nach ein Süßwarenstand war.

War er nicht.
Es war eine Schießbude.

"Süße?"
Ich überlegte, eine Ohnmacht, einen Wadenkrampf oder etwas anderes Lebensbedrohliches vorzutäuschen, antwortete mit einem vorsichtigen: "Hm?"
Er beugte sich zu meinem Ohr und flüsterte:
"Such dir mal was aus, ich schieß es dir."

Ich rang mit mir selbst und der Teufel gewann.
Alles oder nichts.

Ich verdrehte also innerlich die Augen und warf einen Blick auf die Hauptgewinne. Der größte war ein riesiges unglaublich hässliches Opossum-Plüschtier aus IceAge2. Das Vieh war über einen Meter lang und das Grässlichste, das ich jemals gesehen hatte.
"Den da bitte.", fügte ich mich in mein Schicksal lehnte mich an einen Pfosten.
"Wieviel Schuss möchten Sie haben?", fragte der Verkäufer den Mann und ich warf ein sehr spöttisches 'Na, ein Schuss wird ja wohl reichen...' zwischen die Männer.

Der Mann zog die Augenbraue hoch und sagte: "Ein Schuss wird reichen, meint die Lady."

Ich überlegte derweil, wie man möglichst echt einen Schwächeanfall simuliert, um ihm die Blamage zu ersparen.
Man musste ja auch nur so ein hüpfendes kreiselndes Dingsda treffen, das ab und an auch noch verschwand.
Der Mann richtete sich zu seiner vollen Körpergröße von fast 2 Metern auf und spannte sich. Ich war beeindruckt ob dieses Anblickes, auch wenn ich noch drüber nachdachte, ihn anzurempeln, um die Schuld auf mich zu ziehen.

Aber ich fügte mich in mein Schicksal und schloss die Augen.
Es klickte und ich hielt die Augen krampfhaft geschlossen.
Nicht diese Beziehung auch noch.

Als ich mich entschieden hatte, die Plastikrose einfach anzunehmen und lieb zu lächeln, öffnete ich die Augen und blickte in eine riesige und unglaublich hässliche Opossumschnauze.
Blaue Augen blitzten mich an und das attraktive Männergesicht vor mir lächelte süffisant.

"Das ist ein ziemlich hässliches Ding, das du dir da ausgesucht hast...", grinste er, drückte es mir in den Arm und nahm meine Hand, um weiterzugehen.

Kati 07.04.2022, 12.00 | (2/0) Kommentare (RSS) | PL

Elf Tage

Ich habe es geträumt.
Elf Tage sind vergangen, seit ein fremder Mensch aus dem Internet mein echtes Leben betrat und in meinem Vorgarten stand und Fotos von mir, meinem Garten und meiner Burg machen wollte.
Elf Tage, seit ich rausging, ihn bat, vom Grundstück zu gehen und dabei keine Fotos von mir zu machen.
Elf Tage, seit mich ein Schlag an der Schläfe traf und mir die Lichter ausgingen.
Elf Tage Alltag, zwanghaftes Schilde hochhalten, strukturierter Alltag um jeden Preis.
Nicht in die Dunkelheit sinken, nicht dem Schwarz und auf gar keinen Fall dem Rot nachgeben.
Nicht dem Rot, das so verlockend buhlt.
Das tut es immer und es ist seitdem jeden Tag angeschwollen, verführerischer, attraktiver geworden.

Ich habe es geträumt. Es war nicht diese Situation, natürlich nicht. Ich ging auf der Straße, als mich jemand überraschend ans Bein trat. Keine große Sache. Bisschen schmerzhaft. Unverschämt, respektlos, aber im Grunde keine große Sache. Und Sekunden später sah ich nur noch die kurze Eisenstange in meiner Hand. Und ich schlug. Ich schlug und bei meinem Gott, ich genoss jeden einzelnen Schlag davon. Jedes Geräusch, jeden Bluttropfen, jedes Knochenknirschen, jedes Fitzelchen, das in mein Gesicht spritzte. Ich schlug wie von Sinnen und das warme und so weiche Gefühl von früher war da und umfing mich. JA, flüstert es mit einer Inbrunst und einer Intensität, die mich in rote Wolken hüllt und zuhause willkommen heißt.

Blutrausch.
Die absolute Lust an Gewalt.
Das Gefühl, das keinen Vergleich kennt.
Nicht einmal Wollust.
Nur der rote Rausch alles vernichtender Gewalt.

Ich bin schweißgebadet in meinem Heute aufgewacht, habe mich eingesperrt und hangele mich nun von Buchstabe zu Buchstabe, um meinen Neocortex oben zu halten.
Alles, was ich formulieren kann, müssen meine Instinkte nicht regeln.

Mein Leben ist schon so lange Jahre frei von dieser Form von Gewalt und trotzdem bleibt es ein tief verankerter Teil meines Ursprungsselbst.
Als ich aufhörte, Opfer zu sein, wurde ich Täter.
Ich verfüge seit meiner Säuglingszeit über eine unendliche Palette an Erfahrungswerten, was mir wie angetan wurde und was über Jahrzehnte am schmerzhaftesten auszuhalten war und diese Lektion sitzt.
Ich bin ein Monster, das sich jeden Tag bis zur völligen Erschöpfung bemüht, ein Leben zu führen, das niemanden dem ausliefert, was ich ertragen musste.

Und nun ist seit elf Tagen diese Mauer, die nur aus einem zwei Jahrzehnte alten Schwur und meiner Selbstdisziplin besteht, auf eine dünne Decke zusammengeschrumpft, die nichts mehr verbirgt sondern nur noch unzureichend bedeckt. Der Drang, jemandem wehzutun, ist übermächtig, sobald ich meine Schilde sinken lasse.

Mein stärkster Schild heißt Verletzlichkeit.
Solange ich zulassen kann, dass ich verletzlich bleibe, sind meine stärksten Wächter aktiv, die den Zugang zu dem bewachen, zu dem ich imstande bin.

Seit elf Tagen zürnen sie.

Kati 03.04.2022, 17.00 | (10/0) Kommentare (RSS) | PL

Die Erinnerung

Meine allerfrüheste Erinnerung ist die, wie ich mich an einem schweren Vorhang festhalte.
Schwerer Stoff. Braun.
Ich weiß nur, dass diese Erinnerung wahr ist, weil meine Eltern mich ungläubig und entsetzt angestarrt haben, als ich sie über zwei Jahrzehnte später erzählte.

Ich war noch keine zwei Jahre alt. Ich höre nichts. Gar nichts. Es dringt kein Wort in meinen Kopf, obwohl mehrere Erwachsene sprechen. Ich sehe, wie sie ihre Münder bewegen. Ich sehe sie gestikulieren, ich sehe alles. Ich sehe meinen Vater. Sein Gesicht zugeschwollen, die Augen kaum noch zu erkennen, mehrere Platzwunden an der Stirn, das Blut fließt aus seinem Mund.

Die Polizisten sind zu Viert. Meine Mutter ist da, aber ich kann die Erinnerung an sie nicht greifen. Irgendwann verschwinden sie alle. Irgendwann wird es dunkel. Irgendwann verschwimmt das Bild.
Aber es hat sich eingebrannt. Für immer.

Vielleicht war das die Nacht, in der die Wunder starben.

Kati 15.12.2021, 09.00 | (0/0) Kommentare | PL

Dunkel

Im Meer zu ertrinken ist laut.
Es ist dynamisch, es ist Kampf.
Es ist aktiv.
Die Wellen, die dich hochheben, die Brecher, die dich hinunterdrücken. Die Strömung, unbarmherzig, kraftvoll und mitreißend. Das Salzwasser. Alles im Körper ist auf Kampf eingestellt. Jedes Verschlucken treibt dein Adrenalin in die Höhe. Jedes Würgen, jedes Husten pumpt das Blut durch deine Adern. Es ist Überlebenskampf. Es gibt keinen Dialog. Da sind keine Gedanken. Nur das Ringen zwischen Leben und Tod.
Das Meer nimmt sich.

Der See wartet.
Er hat keine Eile.
Kilometerweit vom Ufer entfernt, unter dir nur die Kälte, die darauf wartet, dich in Empfang zu nehmen. Das Wasser ist klar und rein. Es hat nichts Bedrohliches. Es ist still und umfängt dich mit weicher Umarmung. Hier musst du nicht kämpfen, hier ist keine Gewalt, kein Spiel...
Du musst dich nur sinken lassen. Das Pochen deines Herzens wird langsamer, dein Blutstrom pulsiert träge und dumpf durch deinen Körper. Je länger du schwimmst, desto wärmer wird dir. Nicht, weil die Kälte schwindet, sondern weil sie der ewigen Verlockung der Dunkelheit weicht. Bittersüße Gleichgültigkeit streichelt sanft deine Seele. Komm zu mir, flüstert der See leise. Du musst nur loslassen.
Der See wartet.

Kati 13.12.2021, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Stachel

Ich bin es gewohnt, dass die Geschichten aus meinem Leben angezweifelt werden und ich kann Menschen keinen Vorwurf daraus machen.
Die meisten von ihnen können sich nicht einmal ansatzweise vorstellen, was ich erlebt habe und welche Absurditäten Teil meines ganz normalen Alltags waren oder immer noch sind.

Aber wenn ein Freund, dem man schon länger einen durchaus sehr persönlichen Einblick ins eigene Leben gewährt, und den man unterstützt, wo man kann, andeutet, dass er viele Erzählungen für schlichtweg erfunden hält, dann piekst das einen kurzen Moment so wie früher, als es so wichtig gewesen wäre, dass man mir geglaubt hätte, als ich um Hilfe gerufen habe.

Heute bin ich darauf nicht mehr angewiesen und muss keine Kompromisse mehr eingehen.
Und will es auch nicht mehr.

Wer einen großen Teil meines Alltags anzweifelt, hat darin dann tatsächlich auch nichts mehr zu suchen.

Kati 06.09.2021, 18.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Ein unmoralisches Angebot

Ich habe in meinem Leben viele außergewöhnliche Angebote abgelehnt.
Es gab da allerdings diesen älteren französischen Geschäftsmann, der oft bei uns zu Gast war. Ein charismatischer Mann mit dem Ego eines ruhigen, tiefen Sees.
Alles an ihm strahlte Souveränität, Erfahrung und Männlichkeit aus.

Er plauderte nett mit mir am Telefon, flirtete charmant, kam pünktlich, war höflich und während er mit den ein bis zehn gebuchten Damen verschwand, unterhielt ich mich ebenso nett mit seinen Bodyguards, die bei mir meistens eine Cola tranken, Zigarette rauchten und eine sympathische Schwäche für den neuesten Klatsch aus Königshäusern hatten.

Wie immer ging nach drei Stunden die Tür auf und er sah genauso perfekt aus wie bei seiner Ankunft. Frisch geduscht, mit einem Geruch wie Himmel und Erde gleichzeitig.
An diesem Tag trat er dicht vor mich, sah mir tief in die Augen und flüsterte: Ich würde Ihnen alles bezahlen, was Sie verlangen, wenn ich mit Ihnen schlafen dürfte.

Ich lächelte. Dieser französische Akzent würde mich irgendwann noch mal umbringen. Nein, sagte ich. Ich weiß nicht, ob ich ihm jemals hätte widerstehen können, wenn er mir kein Geld geboten hätte. Ich vermute nicht. Aber so funktionierte seine Welt eben. Ein Telefonat, heute Abend? Nur Sie und ich? Ich lasse Ihnen jetzt das Gleiche da, was ich für mein amusement eben bezahlt habe und dafür erzählen Sie mir heute Abend eine Gute-Nacht-Geschichte? Nichts... Eindeutiges. Nur Ihre Stimme.
Ich habe das Geld genommen. Es war ein Monatsverdienst. Und es war tatsächlich eine Gute-Nacht-Geschichte. Er war immer der perfekte Gentleman. 

Mit der Zeit wurden wir vertrauter miteinander. Wir telefonierten mehrmals die Woche, zusätzlich zu seinen Besuchen im Etablissement. Und nach einigen Monaten offenbarte er mir seinen drängendsten Wunsch: Er wollte mit mir zu Abend essen, ein Candlelight Dinner. Er würde seinen Privatkoch herbringen lassen. Und um uns herum würden Menschen Sex haben. Die Summe, die er mir dafür bot, war genug Geld, um für ein Jahr meinen Lebensstandard zu halten.

Das berufliche Leben dieser Zeit ließ mich in eine ganz andere Welt eintauchen als die, in der ich meinen Alltag lebte und ich genoss jede Sekunde davon. Alles war so lebendig, so intensiv, so sünd- und lasterhaft, eine Parallelwelt neben meiner. Ich hatte die Verbindung dieser beiden Welten durch unsere Telefonate bereits zugelassen, zögerte nun aber, den nächsten Schritt zu gehen. Die immer höher werdende Summe und meine Abenteuerlust ließen mich schließlich ja sagen. 

Und so saß ich am mit Abstand seltsamsten Abend meines Lebens in voller Abendgarderobe, hochgesteckten Haaren, Diamanten um den Hals und einem Glas Champagner in der Hand an einem Tisch, aß das Essen eines Sternekochs, hörte eine Klaviersonate von Mozart und unterhielt mich angeregt mit dem attraktivsten Mann, den ich bis dahin kennengelernt hatte über charmante Belanglosigkeiten, während um uns herum Menschen miteinander Sex hatten.

Als ich diesem Leben den Rücken kehrte, bedauerte ich den Abschied von ihm am meisten.

Kati 21.09.2020, 10.00 | (0/0) Kommentare | PL

Drahtseil

Einmal im Monat klingelt hier das Telefon mit einer Nummer, die mir Schauer über den Rücken jagt. Zwei oder dreimal im Jahr nehme ich dieses Gespräch an.
Heute war so ein Tag. 

Ein Mensch mit meiner schieren Anzahl an Persönlichkeitsstörungen und Diagnosen findet außerhalb von Psychiatrien selten jemanden, der einen ähnlich langen Weg hatte. Schon gar niemanden, der ein auch nur annähernd vergleichbares Leben gewählt hat wie ich.

Sie sind so ein Mensch. 

Ein Gleicher, im schlechtesten Sinne. Und es triggert schon ihre Stimme alle Anteile nach oben. Auch die, die immer unter Verschluss sind. Die Morbiden, die Hässlichen, die Gewalttätigen, die Psychopathischen, die Sadistischen.
Wir haben keine Zeit für Floskeln.
Eine Stunde, maximal eineinhalb Stunden wird auch dieses Gespräch wieder dauern.
Dann bin ich zu erschöpft von der Energie, die es meiner Seele abverlangt, alle Wächter auszuschalten. 

Ich melde mich. Wir schweigen. Wir wissen. Wir sammeln uns. Zwischen uns darf alles ausgesprochen werden. Auch jene Worte jenseits jeden Anstands, jeder Moral und jeder Ethik. Die Welt schrumpft auf den zähen Morast unserer Verbindung. Sie bewegt sich auch im Alltag in einer destruktiven und sadistischen Welt und ist deutlich stärker als ich, einige Dinge auszuhalten. Ich weiß, dass sie jedes Licht in sich aufsaugt, das ich ihr zugestehe. Ich weiß, ich bin gleich leer. Ausgebrannt. Zu Tode erschöpft. Aber auch für einen Moment eins, wo sonst nur 1000 Scherben sind.

Erzähl mir, wie es dir geht. 

Und ich rede. Zerstörerisch. Alles vernichtend. Da ist keine Liebe. Nur Hass. Nur Schwärze. Worte, die niemals sonst über meine Lippen kämen. Es ist roh, es tut weh. Und sie treffen auf einen Resonanzboden. Da ist kein Urteil, keine Wertung, kein Rat, nur Verstärkung. Sie nimmt mich unbarmherzig auseinander, zwingt mich, meine Beweggründe zu analysieren, reißt mir die wohlformulierende Fratze des Alltags vom Herzen und sticht dort hinein, wo es wehtut. Ich sehe mich nie so klar wie in diesen Momenten. Das kann keine Supervision, keine Therapie, keine Freundschaft, keine Liebe, das kann nur ein Gleicher. 

Meine Kräfte schwinden. Der schlimmste Teil kommt erst noch. Ich höre von der Gewalt in ihren Beziehungen. Zu Männern, Kindern, Frauen. Sich selbst gegenüber. Ich habe keine Möglichkeit zur Dissoziation mehr und jedes Bild wird von mir durchlebt, erlebt. Bin Täter, Opfer, Kind, Mutter, erlebe und tue Unaussprechliches. 
Wir sind eins in diesen Momenten und ich spüre immer deutlicher, dass ich die Verbindung beenden muss, wenn ich wieder zurückwill. 

Ich habe mich vor unendlich langer Zeit für die andere Seite entschieden. 
Sie will dort nicht hin. 
Sie ist ich, ich bin sie, auf unterschiedlichen Ausprägungen eines Lebens, das uns das Furchtbarste angetan hat, das ein Mensch ertragen muss. 
Sie braucht die Dunkelheit wie ich das Licht brauche. Wenn wir uns in der Mitte treffen, erhaschen wir einen Blick auf die jeweils andere Seite unserer Entscheidungen. 

Ich kann nicht mehr
- Ist gut. 
Ich liebe dich, sage ich. Und meine uns alle. 
- Ich liebe dich auch, sagt sie. Und meint uns alle. 
Bis zum nächsten Mal, flüstere ich. 
-In zwanzig Jahren werden wir lachen, flüstert sie zurück. 
Ja, sage ich. 

Und dann legen wir auf.

Kati 18.09.2020, 11.00 | (0/0) Kommentare | PL

Die Luft ist raus

Das Adrenalin auch. Was mache ich nun mit meinen Erkenntnissen? Erstmal in Ruhe durch meine Gedanken bewegen.

Das Bild, das gestern gezeichnet wurde, wirft noch mal ein ganz anderes Licht auf so Vieles, das ich bislang klar erkannt zu haben glaubte.

Ich halte Dinge meiner Großeltern in Händen, für die ich unglaublich dankbar bin. Manchmal habe ich das Gefühl, dass Dinge, die mit ihnen zu tun haben und die an schicksalhafte Fügungen erinnern, immer zu Zeiten kommen, in denen ich sie tatsächlich brauche, sie mir guttun und mir helfen, nicht durchzudrehen.

Ich kämpfe noch etwas mit der persönlichen Begegnung. Jemand, der meinen Fluchtimpuls auslöst, betritt diesen Ort normalerweise nicht. Es war mit dem Schild in Form des Mannes auszuhalten, aber nicht schön.

So oder so. Es ist vorbei.
Ob der Aufruhr in mir nun wieder in der Versenkung verschwinden darf, werde ich sehen.
Jetzt erst mal durchatmen und nicht mehr 24 Stunden am Tag in Adrenalin baden.
Das ist ja auch schon mal was.

Kati 01.09.2020, 18.00 | (0/0) Kommentare | PL

Dünnes Eis

Die Nerven liegen blank.

Ich bin jedes nur denkbare Szenario im Kopf hundertfach durchgegangen.
Gleichzeitig werden die Erinnerungslücken im Alltag größer.

Irgendetwas ist da massiv getriggert worden und ich komme weder dem Mechanismus noch der entsprechenden Programmierung wirklich näher.
Wie ich es drehe und wende, ich komme nicht heran und auch wenn ich diese großen schwarzen Löcher in meiner Erinnerung kenne, vor denen ich jederzeit stehen kann und die ich weder anfassen, umrunden noch irgendwie deren Inhalt erahnen kann, ist das momentan sehr unbefriedigend.
Manchmal platzt eines auf, das ist aber meistens noch verheerender.

Es gibt einen Grund für unerreichbare Erinnerungen.
Und wann immer ich die die verstörende Erfahrung gemacht habe, dass ein weiterer Teil meiner Vergangenheit plötzlich für mich erreichbar war (die Therapeuten haben dann voller Euphorie davon gesprochen, dass ich nun bereit sei, diese Dinge zu verarbeiten; was mal mehr, mal weniger schlecht funktioniert, wenn man vor Entsetzen entweder nicht mehr handlungsfähig ist oder dieses mit einer weiteren Abspaltung einhergeht), war das rückblickend betrachtet immer etwas, auf das ich gerne verzichtet hätte.
Eine Dinge bleiben besser im Verborgenen und vielleicht ist das gut für mich.
Aber wahrscheinlich nicht für den Teil von mir, der sie erlebt hat.
Ich weiß, dass dieser Aspekt (und gerade die fehlenden Monate und Jahre) einer tickenden Zeitbombe ähnelt, die sich irgendwo mitten in meinem Gehirn befindet und die jederzeit losgehen kann.
Oder eben auch nicht.
Wenn ich Glück habe, bleibt es mir erspart.
Wenn ich Pech habe, auch.

Die jetzige Situation, die auch aus anderen Gründen ohnehin angespannt ist, sorgt für einen holprigen Alltag. Manchmal ist es plötzlich 12 Uhr und ich weiß nicht, was ich bis dahin getan habe, seit die Kinder das Haus verließen. Manchmal wache ich morgens auf und es fühlt sich nicht an, als wäre ich die ganze Zeit im Bett gewesen.
Es ist lange her, dass ich so zerfasert war.
Ich habe Strategien, mich oben zu halten, aber die meisten davon sind schmerzhaft und mit hohem Energieaufwand verbunden.
Ich mache drei Kreuze, wenn sich diese Situation geklärt hat.

Kati 28.08.2020, 11.00 | (2/1) Kommentare (RSS) | PL

Der süße Teufelskreis

Ich bin ein extrem gewalttätiger Mensch.
Schon immer gewesen.
Ich kann hart, schnell und vernichtend zuschlagen und das ist nicht metaphorisch gemeint.

Vor 18 Jahren trat ungeplant ein Wesen in meine Welt, das alles auf den Kopf stellte, was ich bis dahin kannte. Liebe, bis dahin ein theoretisches Konstrukt, das ich maximal als Deckmäntelchen für missbräuchliche Beziehungen benutzt habe, bekam plötzlich einen Namen und ein Gesicht. Im Augenblick ihrer Geburt wusste ich, dass ich dieses kleine Wesen mit meinem Leben schützen würde.
Auch gegen mich selber.

Da wir nicht in einem rosaroten Film leben, war meine Aggressivität leider nicht einfach weg. Sie ist ein Teil von mir und wird es immer sein. Aber dieser Teil meiner Seele, der in meinem Kind plötzlich außerhalb meiner Selbst existierte, trat in einen unerbittlichen Wettstreit mit mir selbst. Ich wusste, ich würde niemals die Hand gegen diesen Menschen erheben können. Und das habe ich auch nie, gegen keines meiner Kinder.
Das heißt nicht, dass ich niemals das Bedürfnis hatte, es zu tun.
Im Gegenteil. Vermutlich wäre das auch zu einfach gewesen.

Meine Kinder verstehen es meisterhaft, mich innerhalb kürzester Zeit zur Weißglut zu treiben. Wie alle anderen Kinder testen sie Grenzen und pieken instinktiv dort, wo es wehtut. Gewalt ist meine erlernte und früher immer erfolgreiche Antwort, aber keine Lösung innerhalb dieser Mutter-Kind-Beziehungen.

Gleichwohl lodert in mir ein Jähzorn, der ununterbrochenen Fokus und Disziplin benötigt, um nicht unkontrolliert aus mir herauszubrechen. Was als Strategie bleibt, ist eine gewisse innere Distanz, sehr viel schwarzer Humor und ... essen.

Ich habe auch aus anderen Gründen kein normales Verhältnis zur Nahrungsaufnahme, aber hier ist das Prinzip schlicht und einfach: Zucker macht glücklich, viel Zucker macht sehr glücklich und betäubt vor allem den schreienden Hass, der in mir wohnt.

Aus vielen gesundheitlichen Gründen komme ich nun an meine Grenzen, was diesen Lösungsansatz angeht.

Also habe ich beschlossen, dass ich inzwischen über genug Abstand, Fähigkeiten und ausreichend alte Kinder verfüge, dass ich aus diesem Teufelskreis ausbrechen kann. Ich kann mich aus Situationen herausnehmen, ohne ein hilfloses Kind im Stich zu lassen. Ich kann auch räumlich auf Abstand gehen, ohne dass gleich eine Katastrophe passiert. Ich muss nicht mehr essen, um präsent zu bleiben und dabei niemanden zu verletzen.
Wie alle jahrzehntelang erprobten und für gut befundenen Mechanismen ist auch dieser hier nur schwer zu bekämpfen.

Mein eigenes Arbeitszimmer war ein guter Schritt in diese Richtung.
Ich kann mich in einen ganz eigenen Raum zurückziehen, wenn es mir zuviel wird.
Dort kann ich durchatmen, Abstand gewinnen und mich fokussieren.

Ich habe elementaren Hunger auf mehr als nur Zucker und das ist nach all den Jahren unter gedämpfter Wahrnehmung schwer auszuhalten.
Mein Körper macht das hervorragend, mein Geist kämpft.
Jeden Tag, jeden Moment.

Die Gier nach echter körperlicher Konfrontation, wie ich sie immer geliebt habe, geifert an manchen Tagen fast unerträglich nach einem Opfer.

Ich kann das aushalten.

Und ich werde das aushalten.

Kati 26.08.2020, 15.00 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL




Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


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Do what is right. Not what is easy.