Blogeinträge (themensortiert)

Thema: Gedankenchaos

Eiertanz

Innerlich schreiend im Kreis rennen ist etwas, das ich höllisch gut kann.
Die letzten Tage waren ziemlich schlimm in dieser Hinsicht, aber inzwischen habe ich mich soweit sortiert, dass ich fast so etwas wie gespannt bin, was jetzt kommt. Ich habe alle kryptischen Nachrichten entschlüsselt, alles von dem, was nach dem Senden sofort wieder gelöscht wurde, zumindest geistig abgespeichert und der Mann hat Urlaub, damit ich nicht alleine gehen muss, wenn Zeit und Ort übermittelt werden.
Funkstille jetzt. Ruhe. Vor dem Sturm? 

Vielleicht liege ich total falsch, aber ich glaube, zumindest die ungefähre Richtung habe ich. Vor meinem inneren Auge ziehen so viele aufgerührte Erinnerungen vorbei, dass ich mich im Alltag durch massives Hintergrundrauschen bewege. Tausend Eindrücke, Momente, Fragmente schwirren in meinem Kopf herum und ich taste mich wie durch ein Minenfeld an den Dissoziationsauslösern vorbei.

Das Einzige, das ich tatsächlich nicht brauchen kann, ist der Wechsel zu Jemandem, den ich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen habe.

Kati 25.08.2020, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Feuer!

Der übereifrige Rauchmelder, der heute Nacht um 02:30 Uhr mal Probealarm auslöste, hat mir einige Flashbacks beschert. Das ist der Gesamtsituation gerade nicht zuträglich.

Und auch, wenn ich natürlich sofort im Hier und Jetzt bin - 60 Sekunden haben wir Zeit: Hund aus Schlafzimmerbox lassen, Kinder beim Namen laut rufen, der Nase einen Moment Zeit geben, sich zu orientieren, den Rauchmelder ausfindig machen, nebenher anziehen und sich währenddessen klar und deutlich mit dem Mann absprechen – so ist doch nach wie vor meine Konditionierung so stark, dass nebenher das Szenario einer Parallelzeit abläuft.

Die Alarme, mit denen ich in meiner Kindheit nachts aus dem Schlaf gerissen wurde, waren ganz unterschiedlich. Feuer, Angriff, Flucht.
In der Sekunde, in der man die Augen aufschlägt, hat das Gehirn schon unendlich viele Informationen verarbeitet.

Griff mein Vater an, um meine Reflexe zu testen? War es Feueralarm? Welcher Weg war offen? Musste ich das Feuer löschen oder wieder übers Dach in den Garten zum Treffpunkt? Wie lautete die Aufgabe? Musste ich auf dem Weg noch Gegenstände mitnehmen, um den Test zu bestehen?
Das alles erforderte vor allem Entscheidungen in Sekundenbruchteilen, etwas, das ich auch heute noch sehr gut kann.

Nichtsdestotrotz ist Feuer eines meiner größten Katastrophenszenarien.
Ich bin in brennenden Räumen gewesen und kenne den Moment kurz vor dem Ersticken zu gut.
Ich kenne Brandwunden und ich kenne ihren beißenden Schmerz, der sich mit nichts anderem vergleichen lässt.

Ich fühle mich nach der Nacht heute entsprechend gerädert, auch wenn gar nichts passiert ist.
Diese Erinnerungen zehren stark an meinen Kräften, die ich momentan für ganz andere Dinge bräuchte.

Kati 24.08.2020, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Wahl

Je tiefer der Morast wird, je unebener der Weg, je höher die Gipfel, desto mehr Worte braucht es, die Welt zu bändigen. Der Text als formbares Element in einer unformbar wogenden Mischung aus Hilflosigkeit, Erinnerung, Erfahrung, Fähigkeiten und Chaos. Der Alltag als Erdung, jede Pause als Sog in den reißenden Strudel der eigenen Gedanken.

Die Erkenntnis ist der entscheidende erste Schritt. Hier werden meine Programmierungen aufgerufen, hier triggert die Konditionierung. Ich bin wieder das dressierte Äffchen, der Pawlowsche Hund einer Kindheit, in der alles darauf ausgerichtet war, so viel Fähigkeiten, so viel Erfahrungen, so viel Wissen, so viel Funktionalität wie nur irgend möglich zu erreichen.

Mein unperfektes und langweiliges heutiges Leben, das allem entspricht, was ich niemals werden sollte, ermöglicht mir den Schritt zurück und den Blick auf mich selber. Ich kann und darf einfach innehalten und mir die Situation ansehen. Muss mich nicht von Adrenalin überschwemmen lassen, muss nicht funktionieren, muss nicht springen, nur weil das Stöckchen da ist.

Ich habe die Wahl, ob ich zu diesem Treffen gehe. Kann mich frei entscheiden. Muss mich weder an Regeln, die ich nicht selber aufgestellt habe, halten, noch überhaupt irgendetwas tun, was mir nicht gut tut. Muss den Text nicht entschlüsseln, kann das Geheimnis dort lassen, wo es gerade ist und kann auch entscheiden, dass mich das alles überhaupt nicht interessiert.

Und wenn ich gehe, dann nicht allein, wie gefordert.

Ich bin nämlich nicht mehr allein auf dieser Welt.
Ich habe den mächtigsten Wächter der Welt an meiner Seite.
Den einen Menschen, der alles gesehen hat und alles wissen darf.

Ich bin nicht mehr alleine.

Kati 22.08.2020, 08.00 | (0/0) Kommentare | PL

Das gibts nur in Filmen

Ich weiß nicht, wann ich das erste Mal jemanden, mit dem ich vorher am Tisch saß, in den Nachrichten wiedererkannte.
Ich denke, das muss so Mitte der 80er Jahre gewesen sein.
Natürlich habe ich diese Menschen verwechselt.
Manchmal nicht genau hingesehen, mir das eingebildet oder war wahlweise einfach nur ein dummes Kind, das keine Ahnung hatte.

Ich verstummte zuhause schnell und vertraute mich irgendwann Jahre später meiner besten Freundin an, als wir im Geschichts- und Politikunterricht auch über aktuelles Zeitgeschehen sprachen.
Sie hat mich ausgelacht und mir versichert, dass ich ja immer so unterhaltsam und originell sei. Das war mein Stempel und meine Schublade. Ein Phantast.
Charmant, ja. Charismatisch, ja. Unterhaltsam, sicherlich. Aber leider irre.

Die Bezeichnung Lügner wurde in meiner Familie inflationär benutzt, ohne das Wort jemals auch nur auszusprechen. Ich habe gelogen, wenn ich auf einen Missstand aufmerksam machte, ich habe natürlich auch in der Schule gelogen, als ich meinem Vertrauenslehrer anvertraute, ich würde zuhause bedroht, mein Vater sei ein Soziopath, ein schwerer Alkoholiker und gewalttätig, komische Menschen kämen in unser Haus und meine Eltern stünden kurz vor der Scheidung, weil mein Vater mal wieder eine Affäre hatte.

Der erfolgreiche Mann im Anzug, den jeder kannte und der Unmengen an Geld an die Schule spendete, brauchte sich niemals rechtfertigen. Es reichte, wenn er eine Augenbraue hochzog und fragte, ob ich wieder Geschichten erzählen würde. Ja, natürlich, nickte der Vertrauenslehrer dann mit einem verständigen Blick zu ihm und einem mitleidigen Blick auf mich.

An den meisten Tagen wusste ich selbst nicht mehr, ob ich mir nicht vielleicht doch alles nur einbilden würde.
Das prägt ein Kind.
Und das eigene Selbstbild.
Ich sah Menschen in Fernsehen und Zeitungen, mit denen ich in Restaurants gegessen habe und die mir übers Haar gestrichen hatten.
Ich erklärte mir selber, ich dürfte meiner Wahrnehmung niemals trauen, egal was passiert.
Ich hielt mich für verrückt und hoffte einfach nur, nicht irgendwann Amok zu laufen, weil die Stimme in meinem Kopf so laut das Gegenteil behauptete. 

Es war nicht die Erkenntnis. Es waren mehrere.
Die rasiermesserscharfen Shuriken, mit denen mir als Vorschulkind von der Kollegin meines Vaters das Werfen beigebracht wurde und die sie mir als Geschenk überreichte, bevor sie verschwand und ich sie nie wiedersah.
Die Waffen in unserem Haus.
Der eine Sommer, in dem ich plötzlich aus der Schule genommen wurde, weil unsere gesamte Familie dabei sein musste, als in Stockholm ein wichtiges Treffen war. Wie ich in Stockholm entweder in einem Hotel voller Männer mit Anzügen herumlief oder in Begleitung von 5 gigantischen Männern und meiner Mutter durch die Stockholmer Innenstadt bummelte.
Die Treffen bei uns zuhause, die dunklen Limousinen, die vor unserem Haus parkten.
Die vielen, unendlich vielen Männer in Anzügen, die mir Sätze in ihren Sprachen beibrachten.
Die Tracht Prügel, als ich vergaß, meinen Blick gesenkt zu halten und mich vor unserem Gast zu verbeugen und stattdessen mit hocherhobenem Kinn meine Hand ausstreckte und mich mit meinem Namen vorstellte. 
Mutig., sagte er damals in seiner Sprache und ich verstand das erst, als ich ihn als Erwachsene in der Zeitung wiedersah, weil man seine Leiche gefunden hatte.

Mein Leben kam mir immer wie ein 100.000-Teile Puzzle vor, das ich ohne jede Vorlage zusammensetzen muss.
Ich habe inzwischen einen großen Teil geschafft, aber davon, das Bild zu erkennen, bin ich noch unendlich weit entfernt.

Kati 21.08.2020, 08.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Wortlos

Es gibt diese Art von Enttäuschung im Leben, für die man keine Worte findet, weil sie so tief geht, dass sie das Innerste eines Menschen berührt.

Vielleicht gibt es auch einfach Dinge, die besser unausgesprochen und unangetastet bleiben.

Kati 06.01.2020, 22.00 | (0/0) Kommentare | PL

Träume und Realität

Seit einiger Zeit sind meine Träume sehr wirr, aber realitätsnah.
Nicht erschreckend oder Traumata wieder hochholend, wie ich das kenne, sondern aufarbeitend.
Lösungsorientiert.

Es scheint, als würde all das, was ich in den vergangenen Monaten gedanklich bearbeitet habe, nun an seinen vorgesehenen Platz fallen.

Das riesige Thema "Tochterkind" wird umso kleiner, je mehr ich von ihrem Vater und ihrer Stiefmutter über sie erfahren habe. Viele Dinge ergeben nun endlich einen Sinn. Da sind keine diffusen Ängste mehr, manchmal scheint mir eher, dass sie sich nun an genau dem Platz befindet, der der Richtige für sie ist und wo sie hingehört.
Mit mir hat das schon lange nichts mehr zu tun.
Ihre Verhaltensweisen, die mich als Mutter verletzt haben, die ich aber immer wieder aus falsch verstandener Mutterliebe verziehen habe, sind für mich als Person untragbar geworden. Und da ich in Bezug auf sie kaum noch innerhalb meiner ehemaligen Mutterrolle agiere, muss ich auch nicht in dieser reagieren. Das ist schwer, mit dieser Abnabelung, wenn man keine Zeit zum Üben im Alltag hat, sondern nur den Bruch. Sehr schwer. Die Träume von einer reibungsintensiven Abnabelung im Alltag haben mir zu Erkenntnissen verholfen, die ich hier nicht gewinnen durfte.

Das große Zusatzkind im gleichen Alter hat seinen Platz zwar auch noch nicht gefunden, steht aber mit beiden Beinen fest im Leben und hat Sprünge gemacht, die ich noch vor einem Jahr für undenkbar gehalten hätte. Ich bewundere sie sehr für diese persönliche Weiterentwicklung. Dass wir den Schritt in die Zweitwohnung mit ihr gegangen sind, in dem unsicheren Gefühl, dass es zwar das Richtige für sie ist, aber nicht sicher, ob sie dem Alltag "begleitet alleine" gewachsen sein würde, war goldrichtig. Ein Jahr später haben wir keinerlei Bedenken mehr, dass sie einen guten Weg gehen wird. Ob der eine Beteiligung unsererseits enthalten wird, ist noch unklar, aber das wird sich finden.

Was sein wird, wird sein.

Der Zusatzsohn hat aufgrund seines Talents eine sehr begehrte Ausbildungsstelle hinterhergetragen bekommen, die bereits in trockenen Tüchern ist. Auch hier eine Sorge weniger. Autismus ist keine Kranheit, kann aber eine sehr alltagseinschränkende Behinderung darstellen, die hier in diesem Fall schon viele Türen zugeschlagen hat. Umso schöner, dass sich nun so eine Wichtige geöffnet hat.

Ich habe letztes Jahr viel Herzblut und Energie und Gedanken in Menschen investiert.
Wie in jedem Jahreszyklus ist auch hier ein Punkt erreicht, an dem das Fass einfach voll ist.
Ich spüre wieder mehr Ekel vor Menschen im Allgemeinen und brauche sehr viel Distanz und Einsamkeit, um meine Akkus wieder richtig aufladen zu können.

Der Alltag wird das Seine dazu beitragen.

Kati 05.01.2020, 18.00 | (0/0) Kommentare | PL

Versprochen ist versprochen

Ich mache nicht gerne Versprechen.

Und ich bekomme auch nicht gerne welche.

Mein Leben und meine Erfahrung zeigen mir, dass nur die allerwenigsten Menschen achtsam mit dem umgehen, was sie zusagen. Und ein Versprechen - die stärkste und wohl erwartungsbehaftetste Form der Zusage - ist oft den Atem nicht wert, der darauf verschwendet wird, sie auszusprechen.

Mir stellen sich die Nackenhaare zu Berge, wenn Eltern von ihren Kindern Versprechen einfordern - wie soll Kindern möglich sein, woran die meisten Erwachsenen scheitern? Umgekehrt ist es so, dass ich meine Kinder, die alle in einem gewissen Alter die Floskel "Ich verspreche es" mal mir gegenüber formuliert haben, mit Händen und Füßen davon abhalte, genau das zu tun. Ich will keine Versprechen. Ein Versprechen muss erfüllt werden. Wird es das nicht, war es nichts wert. Sind Worte irgendwann nichts mehr wert. Und dagegen wehre ich mich.

Ich bin ein sehr verbindlicher Mensch. Ich tue, was ich sage. Dass das unter Umständen nicht mit der Lebensrealität der Anderen übereinstimmt, ist erst einmal nicht mein Problem. Wenn ich ein Versprechen gebe, dann halte ich es. Um jeden Preis. Da ich um den Druck weiß, den das auslöst, mache ich nur sehr sehr wenige davon. Nur die, die ich will. Und von denen ich weiß, dass ich sie erfüllen kann und werde.
Ich verspreche den Kindern nur selten etwas, anderen Menschen schon mal gar nicht und dem Mann nur Eines.

Das ist gleichzeitig das umfangreichste Versprechen von allen und ich habe es vor Zeugen abgelegt. Verbindlicher geht wohl nicht mehr.

Kati 12.11.2019, 18.00 | (0/0) Kommentare | PL

Neue Wege

Jeder kennt den Spruch mit dem "Wenn du das tust, was du immer tust, bekommst du das, was du immer bekommen hast". Und das kreist seit vielen Wochen in meinem Kopf.

Meine Selbstdefinition als Mutter und Hausfrau steht gerade sehr auf dem Prüfstand. Ich war nie jemand, dem es vom Kopf her gereicht hat, Kinder zu erziehen und zuhause zu sein, also pflastern unzählige Aktivitäten und Projekte und ehrenamtliche Arbeiten diesen Weg. Geschenkt. Meine Hauptaufgabe waren trotz allem meine Kinder. Immer und an erster Stelle. Mir war es wichtig, zuhause zu sein. Immer ansprechbar. Mit all meiner Liebe und aus tiefstem Herzen frei gewählt.

Ich hatte mit 6 Wochen das erste Kindermädchen und im Laufe meines ersten Lebensjahres noch etwa ein halbes Dutzend weitere davon. Kam früh in die private Kinderbetreuung, wurde mehr gefordert als gefördert, durch alle Hochbegabtenprogramme gehetzt und landete dann irgendwann sehr früh in der Schule.
Meine Eltern haben Karriere gemacht.

Die Zeit, die ich mit ihnen verbracht habe, war durchzogen von Leistungsnachweisen. Höher. Schneller. Weiter. Es gibt keine zweiten Sieger, nur Verlierer. Gewinnen kann nur Einer, und das bist du. Sei immer besser als alle anderen. Du musst nur einmal öfter wieder aufstehen als der Zweite.
Na klar kann ich jetzt alles, aber der Preis, den ich gezahlt habe, war hoch.
Ich kann jagen, fischen, töten, eiskunstlaufen, reiten, rollschuhfahren, in der Wildnis überleben, spreche mehrere Sprachen, kann handwerken genauso wie kochen, backen, nähen, stricken, häkeln, mauern, Möbel bauen, ein Dach decken, schreiben, gärtnern, kann Elektronik auseinandernehmen und zusammenbauen, Schach spielen, boxen, Feuer machen, surfen, programmieren, Drogen herstellen, löten, schweißen, mit jeder Art von Tieren umgehen, schwimmen, Wasserski fahren, habe Führerscheine, kann Motorboote fahren, Möbel herstellen, spiele mehrere Instrumente und noch die anderen zwölf bis vierzig Dinge, die man mir im Laufe meiner Kindheit so aufgezwungen hat.

Bilder von mir kannte ich eher aus Zeitungen als von Familienalben. Ich weiß, wie es ist, vor großem Publikum aufzutreten und ich habe den Applaus immer gehasst. Weder der schönste Sprung beim Eiskunstlaufen noch das Klatschen von mehreren Tausend Menschen nach dem Beenden eines fehlerfrei gespielten Musikstücks war irgendwann etwas wert.
Mir. Etwas wert.
Es war eher so, dass ich in diesen Momenten etwas wert war. Nämlich meinen Eltern.

Nichts davon ist schlecht. Vieles hat Spaß gemacht.
Heute bin ich dankbar für all meine Fähigkeiten und vermisse trotzdem eine liebevolle Kindheit.
Das kann und darf nebeneinander existieren.

Und so wundert es vielleicht nicht, dass ich mich dieser Bewertung und diesem Leistungsgedanken mit 18 so allumfänglich entzogen habe, wie es nur ging. Nach mehreren Studienversuchen, die mir allesamt zu langweilig waren, stürzte ich mich in das Leben, das ich nie kannte. Jenseits von Reichtum und Wissen und Ruhm und Glanz. Ich fing an zu arbeiten. Und es begann die aufregendste Zeit meines damaligen Lebens. Ich habe alles gemacht, war mir für nichts zu schade und habe jeden Moment davon genossen. Das war häufig auch am Rande der Legalität oder auch etwas darüber, wer weiß das schon so genau, aber ich spürte mich das erste Mal selber. Mich. Nur. Mich.

Heute scheint mir das schwieriger zu sein.
Ich kann nicht auf einem Schiff irgendwo anheuern und für drei Monate weg sein.
Ich kann keine Autorennen mehr fahren.
Ich habe ein Haus und Familie und Tiere und will vor allem auch gar nicht von alledem weg.
Aber es scheint mir gerade alles aufzubrechen, alles Alte wegzubrechen, so dass ich ein ähnliches Gefühl habe wie damals, vor 22 Jahren.

Mein jüngstes Kind ist 8, die größten Beiden sind nächstes Jahr volljährig.
Und meine Verantwortung wird zwar nicht geringer, doch sie erfordert schon einige Jahre nicht mehr die vollumfängliche Präsenz, die ich all die Jahre mit kleinen Kindern zeigen musste.

Auch ich löse mich aus dieser gewählten Rolle.
Nur habe ich keine Ahnung, wo es hingehen wird.

Kati 08.10.2019, 18.00 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL

Parallelwelten

Beide großen Mädchen wären jetzt mit 17 beide auf dem Gymnasium und mitten in der Abiturvorbereitung. Sie hätten beide einen Führerschein und auch ein eigenes kleines Auto zum Üben bekommen. Sie wären vielleicht weiter zusammengewachsen, sich näher gekommen, vielleicht wäre es die beste Zeit überhaupt geworden. Für sie, für uns, für alle. Vielleicht hätte die Eine wieder mehr Licht sehen können. Und die Andere mehr Frieden gefunden. Aber zusammen wären wir gewesen. Als Familie.

Nach all den Jahren harter Arbeit und Schmerz und Aufopferung und Kampf und Energieverschwendung auf genau diese beiden Kinder.

Manchmal sitze ich träumend auf der Schaukel und tauche ein in diese rosa Welt, wie ich sie mir für die letzten Jahre hier zuhause mit ihnen gewünscht hätte. So viel Hoffnung, dem einen Kind so etwas wie eine Mutter sein zu dürfen und dem anderen ein ebenbürtiger Partner bei der Ablösung, die auch in der Parallelwelt härter für mich gewesen wäre als alles zuvor.

Wie sehr hing ich an diesem Kind. Meinem Kind. Meiner Erstgeborenen. Die andere Erstgeborene wäre dabei an unserer Seite gewesen. Zu dritt.
Rosa Blase.
Seifenblase.
Illusion.

Heute sitze ich auf der Schaukel und mein Leben ist mir fremd geworden. Es nahm einen Verlauf, der niemals vorgesehen war. Der mich bitter gemacht hat. Und mich an Vielem zweifeln ließ, das vorher meine Glaubenssätze darstellte.
Mein Leben passt mir nicht mehr richtig.

Die Trauer hat den Blick über ein Jahr lang getrübt, doch jetzt, wo die Klarheit zurückkehrt, merke ich nur eines mit aller Deutlichkeit: Ich bin falsch hier.

Kati 27.09.2019, 18.00 | (2/2) Kommentare (RSS) | PL

Schlüsselkind

Ich setzte wie jeden Tag meinen Schulranzen ab und holte den Haustürschlüssel mit der kleinen Kuhglocke heraus. Mein Vater hatte mir diesen Schlüsselanhänger aus der Schweiz mitgebracht und ich liebte das leise Klingeln, wenn man das Glöckchen schüttelte. Ich war stolz, dass ich meinen eigenen Haustürschlüssel zur Einschulung bekommen hatte. Ich schloss auf und keiner war da. Es war nie jemand da. Ich stellte den Ranzen in mein Zimmer und ging in die Küche um zu sehen, was ich mir heute kochen würde. Ich war gerade 5 geworden, früher eingeschult, wie alles, was ich früher machte als alle anderen. Kochen gehörte wohl auch dazu. Nach dem Essen und den Hausaufgaben würde ich zu meinem besten Freund gehen und mit ihm spielen. Er war furchtbar arm, wohnte in einer winzigen Wohnung mit Eltern und Geschwistern und es war überall unordentlich und chaotisch und ... liebevoll. Warm. Dort roch es immer nach gekochten Mahlzeiten und nach Leben. Ich schälte Kartoffeln und überlegte, ob ich mich heute wieder am Backen versuchen würde. Das letzte Mal ging furchtbar schief und ich hatte keine Ahnung warum. Es schmeckte grauenhaft und ich musste alles in den Müll werfen. Ich würde beim nächsten Besuch meiner Großeltern Oma doch noch mal genauer über die Schulter blicken müssen.

Vier Jahre später. Das Gymnasium war ziemlich beängstigend. Sehr groß, ich kannte niemanden, wir waren in den letzten Jahren wieder drei Mal umgezogen. Ich kam mittags nach Hause in das neue riesige Haus, das wir gekauft hatten und keiner war da. Wie immer. Die Mittagsroutine fing an. Essen vorbereiten - meine Mutter arbeitete nun weniger und kam irgendwann gegen 15 Uhr nach Hause, war dann hungrig und wollte etwas essen und danach nur noch schlafen. Mein Vater aß ohnehin bei der Arbeit, dort gab es jeden Mittag gutes und leckeres Essen. Ich war ein paar Mal mit dort, mir meinen zukünftigen Arbeitsplatz ansehen. Er hatte viel mit mir vor. Hausaufgaben machte ich schon lange nicht mehr. Wozu auch. Wenn ich wusste, es würde kontrolliert werden, machte ich morgens noch schnell das Erforderliche. Ansonsten hatte ich frei.
Ich ging in die Wälder, streifte durch Felder und ging den Bach entlang. Ich hatte Zeit. Alle Zeit der Welt.

Oberstufe. Zur Schule ging ich schon lange nicht mehr regelmäßig. Es interessierte ja auch niemanden. Ich lieferte Leistung, wenn es gefordert war und lebte ansonsten mein Leben. Ich verließ zeitgleich mit meiner immer hektischen und beschäftigten Mutter und mit meinem anzugtragenden Vater jeden Morgen das Haus, sein "Sei immmer etwas besser als alle anderen!" im Ohr, und entschied mich meistens erst im Zug, was ich an diesem Tag machen würde. Vielleicht ein wenig Schule, um mich wieder blicken zu lassen? Meine Lieblingsfächer besuchte ich sowieso immer. Die anderen - weniger. Zu Tests und Arbeiten erschien ich und damit hatte sich die Sache. Ich war ja gut. Ich hatte Narrenfreiheit. Vielleicht würde ich ein wenig durch die Stadt bummeln und Geld ausgeben.
Ich brachte meiner Mutter gerne Bildbände von Ländern mit, in die sie noch reisen wollte. Das freute sie, wenn zusätzlich zum Mittagessen noch ein Geschenk dort lag. Ich war früh wieder zuhause. Keiner war da. Wie immer.
Ich versorgte meine Tiere, schrieb, malte, spielte am Computer, sah fern.
Manchmal nahm ich das Fahrrad und fuhr durch die Weinberge. Nur ich und der Fahrtwind in meinem Gesicht.

Einmal blieb ich über Nacht weg. Versteckte mich in meinem Lieblingsversteck auf dem Berg. In den Holunderbüschen. Sie würden nach mir suchen und dann wäre alles wie in den vielen Büchern, die ich gelesen hatte, wenn ein Kind ausriss. Tränenreiche Umarmungen, Aussprachen, Liebesbekundungen. Als ich am nächsten Tag wieder nach Hause kam, schloss ich die Tür auf und keiner war da.

Irgendwann konnte meine Mutter aus Krankheitsgründen ihren Beruf nicht mehr ausüben. Ab da war immer jemand da.
Sie konnte jetzt den ganzen Tag lesen und schlafen und die Putzfrau und die Bügelhilfe und mich herumscheuchen und immer war jemand da, wenn ich das Haus betrat. 

Ich hatte mich noch nie so alleine gefühlt.

Kati 26.09.2019, 12.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL




Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


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