Mein geliebter dunkler Engel,

heute wird unsere Liebe volljährig.
Vor 18 Jahren haben wir uns das erste Mal gesehen, das erste Mal berührt, das erste Mal geküsst.

Wir sind uns nicht frei begegnet. Das Privileg, sich ungebunden kennenlernen zu dürfen, hatten wir nie. Wir haben uns getroffen, als wir beide in festgefahrenen Bahnen und zutiefst verpflichtet vor der Entscheidung standen, jede Sicherheit zu verlieren, wenn wir unser persönliches Glück wählen.
Wir haben gewählt.
Ich habe diese Entscheidung nie bereut. Nie. Keine einzige Sekunde. Du bist mehr, als ich mir jemals zu erträumen gewagt hätte, du bist der Inbegriff all meiner Sehnsüchte und Fantasien und erdest mich so sehr wie du mich fliegen lässt.
Es gibt keine Worte, um das zu beschreiben, was wir haben und trotzdem versuche ich es Jahr um Jahr wieder.

Als du 30 warst, habe ich mich in deine Kraft, deine Beherrschung, deine Zärtlichkeit, deinen Sanftmut, deine Intelligenz und deine Offenheit verliebt. Die Kombination dieser Dinge war für mich immer einzigartig.
Ich weiß, wieviel Körperkraft du besitzt, dass du mich und meine Aggression jederzeit in Schach halten kannst, ohne mir auch nur ein Haar zu krümmen. Es liegt unendlich viel Liebe und Disziplin in jeder deiner Handlungen. Und bei Gott, was habe ich dich getriezt die ersten Jahre. Es war die einzige Art, die ich kannte. Einen Mann so lange zu provozieren, bis er die Beherrschung verliert. Du hast stets standgehalten und vielleicht ist es das, das mir mehr Frieden und Heilung geschenkt hat als alles andere.
Ich habe oft formuliert, dass ich einmal erleben möchte, wie es ist, wenn du innerlich loslässt, aber ich weiß heute, dass diese Selbstdisziplin so untrennbar zu dir und deinem Wesen gehört, dass das in unser beider Welt nicht möglich ist. Und das ist gut so.

Heute sehe ich jeden Tag einen um 18 Jahre reiferen Mann, der sich vielleicht noch nicht zur Gänze selbst gefunden hat, der aber all das, was früher schon so anbetungswürdig war, mit der Weisheit des Älterwerdens noch vertieft. 

Du bist in dir selbst immer sicherer geworden, je älter unsere Kinder wurden, je weiter wir aneinander gewachsen sind. Du hältst nicht nur mir, sondern auch ihnen stand. Du lässt dich nie provozieren, unsere Söhne und Töchter können sich genauso körperlich wie geistig an dir messen und austoben. 
Du bist ein Sparringspartner, der in erster Linie Fels, nicht Gegner ist. Gegen den man auch das hundertste Mal anlaufen kann, wenn man wütend ist. Der nicht zurückweicht, sondern aushält, weil er in seiner eigenen Sicherheit nichts zu befürchten hat.
Unser großer Sohn hat dich an Größe überholt, unsere kleine Tochter ist ihm dicht auf den Fersen. Beide messen sich liebend gerne an dir. Du diskutierst stundenlang mit der Kriegerin und ich könnte mir keinen besseren Vater für gerade sie wünschen. Du weißt, wie man in der Dunkelheit ein Licht entzündet. 
Unser Sorgenkobold ist ein stattlicher junger Mann geworden, der seinen Weg geht, auch wenn dieser mit Steinen und Hindernissen gepflastert ist. Was haben wir uns für Sorgen um ihn gemacht und was haben wir für Angst gehabt, dass er irgendwann einfach liegen bleibt, wenn er gefallen ist. Diese Sorge ist der Zuversicht gewichen, dass er immer wieder aufstehen wird, weil er so viel mehr gelernt hat als wir dachten, dass es ihm möglich wäre. Ich könnte nicht stolzer auf dieses Kind sein, das in jeder nur denkbaren Hinsicht weit über sich hinausgewachsen ist.
Unsere große Tochter ist ein so schöner und selbstwirksamer Mensch geworden und ich bin auch 18 Jahre später noch dankbar, dass du die damals Dreijährige vom ersten Moment an als dein eigenes Kind angenommen hast. 
Unser kleiner Sohn ist die wohl größte Herausforderung für dich und das lässt mich heimlich schmunzeln. Auch wenn du es nicht hören möchtest, er ist dein Abbild in jeder nur denkbaren Hinsicht. Und ich vermute, dass ihr auch deswegen so oft aneinander geratet. Hab Vertrauen, dass es sich fügen wird. Du machst das großartig. Trotz jedem Augenrollen, jeder Endlosdiskussion, jedem empörten Schnauben.
Er könnte kein besseres Vorbild haben als dich.
Das könnten sie alle nicht.

Für mich bist du heute - auch wenn ich das vor 18 Jahren nie für möglich gehalten hätte - eine noch sehr viel verlockendere Version deines 30jährigen Ichs.
Das Älterwerden bekommt dir gut. Reife und Erfahrung haben in Kombination einen Mann geschaffen, den nichts mehr ins Wanken bringt und der zu jeder Zeit sehr genau weiß, was er tut. Du harrst geduldig an meiner Seite, während ich immer noch die Grenzen meiner selbstbestimmten Sexualität austeste, die ich in dieser Form erst bei dir kennengelernt habe. Du kennst meinen Geist und meinen Körper manchmal besser als ich selber. Du treibst mich in schwindelerregende Höhen und hältst mich fest, wenn ich zu fallen drohe. Ich liebe es, dass du auch nach all den Jahren immer noch sofort körperlich auf mich reagierst, wenn wir uns sehen. Du bist ein Geschenk.

Wir haben ein furchtbares letztes Jahr hinter uns. Der Tod meines Vaters hat in uns sehr viel Dunkelheit geschaffen, wo vorher Licht war. Du hast viel getragen und tust es noch. Wir versuchen, uns neu zu ordnen und tasten uns langsam an die Unsicherheit heran, die die Beziehung zu dir für einige von uns bedeutet. 
Ich weiß, dass es gerade nicht leicht ist. Und ich weiß auch, dass wir dem standhalten werden.
Weil wir allem standhalten. Gemeinsam.

Ich liebe dich.

Kati 30.05.2023, 06.00| (1/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Briefe

Lieber Opa.

Dein 14. Todestag ist schon über einen Monat her und ich habe dieses Jahr tatsächlich nur ein paar Tage vorher daran gedacht und am Tag selber nicht. Ich nehme an, dass sich die Trauer um dich langsam verändert und das ist okay so.
Die Kirsche blühte dieses Jahr früher als sonst. Ich werde den Baum fällen, seine Zeit ist um. Auch damit habe ich mich mehrere Jahre getragen, aber es ist wie es ist. Wir haben eine Pflaume, die ich gepflanzt habe, als wir die Zusatzkinder aufnahmen und sie trägt jedes Jahr reichlich Früchte. Und ich habe mir Rosen gekauft. Nur rosafarbene. Ich muss immer ein wenig lächeln, wenn ich an ihnen vorbeigehe und mir vorstelle, wie sehr du darüber schimpfen würdest.

Dad ist tot. Das weißt du natürlich, aber ich habe dir bisher nicht darüber geschrieben. Er hat sich selbst getötet. Ich erinnere mich nicht, dass wir je darüber gesprochen haben, wie du zu Suizid stehst. Ich unterstütze das Recht eines jeden Menschen, sein Leben zu beenden, aber ich wünschte, es gäbe schon die Umsetzung dieses Rechts durch Medikamente, die einen würdevollen Tod ermöglichen. Er musste sich selber etwas zusammenmischen und ich glaube, dass ich zumindest dazu deine Meinung kenne. Das letzte dreiviertel Jahr war hart für mich. Es wird langsam. Ziemlich langsam.

Vorgestern hat mein großer Sohn seinen ersten Anzug in Auftrag gegeben. Und ich musste an dich denken. Den ganzen Tag. „Kind, ein Anzug muss vor allem eines tun: Passen.“
Du hast immer gesagt, dass man sich in etwas, in dem man sich nicht wohlfühlt, automatisch benimmt wie ein Clown und ich versuche, das an die Kinder weiterzugeben.

Und als ich das Foto von ihm gesehen habe, wie er da stand, so hochgewachsen und schlank und schön, in Anzug und Weste, da hat mir jemand gefehlt, dem ich das Foto schicken kann. 
Du. 
Es gibt zwei Menschen, die das Foto gesehen haben, aber das war nicht dasselbe. Ich hätte es gerne dir geschickt.
Hätte dir gerne gezeigt, dass dieses Kind, das dir so ähnlich ist, langsam zum Mann übergeht. Zu einem guten, ehrlichen und anständigen Mann. Ich weiß, dass du wohlwollend genickt hättest, ich weiß es. 
Ich trage dich jeden Tag so allgegenwärtig in mir, in meinem Leben, in meinem Lieben, in meinem Handeln, dass es eigentlich egal ist, dass du tot bist, aber manchmal tut es doch noch ziemlich weh.

Lieb dich. Danke, dass du in meiner Kindheit mein Licht warst. Ich wünschte, ich hätte das früh genug in seinem ganzen Ausmaß erkannt, um es dir persönlich mal gesagt haben zu können.

Kati 26.05.2023, 12.10| (0/0) Kommentare | PL | einsortiert in: Briefe

Die goldene Gans

Die Worte stauen sich in mir und ich finde keine Gelegenheit, sie in Form zu gießen, weil die letzten Wochen emotional so dicht und belastend waren, dass ich nicht so weit runterfahren konnte, um mich in einen kreativen Zustand fallen zu lassen. Brauche Zeit und Raum, mich zu sortieren.

Ich „arbeite“ inzwischen jeden Tag mit meinem Geld und ich liebe es genauso wie damals, als ich vor 25 Jahren meine Eltern zur ersten Million investiert habe.
Das Glücksgefühl, das Wissen, die Technik - all das ist noch da und ich stehe zum ersten Mal in meinem Leben vor der ernsthaften Frage, ob es wirklich so verwerflich ist, dieses Geld für meine Zwecke zu instrumentalisieren.

Die letzten zwei Jahrzehnte mit dem Mann haben mein Weltbild so unumkehrbar verändert - MICH so unumkehrbar verändert, dass es vielleicht Zeit wird, auch diese letzte Überzeugung über Bord zu werfen, dass mich eigener Reichtum zu einem genauso schlechten Menschen macht wie es meine Eltern waren.

Ich kann, wenn ich mein Geld jetzt komplett spende, einer Anzahl x an Menschen helfen, ihr Leben nachhaltig zum Guten zu verändern.

Gleichzeitig ist eine der ersten Grundlagen, die man im Umgang mit Geld lernt, niemals seine goldene Gans zu schlachten.

Welchen Sinn hat es also, wenn ich es weggebe?
Der Umfang dessen, wie ich helfen kann, ist dann äußerst begrenzt.
Gleichzeitig steigen auch meine persönlichen Ressourcen und meine Resilienz mit finanzieller Absicherung in meinem Leben.
Wie sinnvoll ist es also, wenn ich beides wegwerfe? Nach all dem Kampf bis hierhin? Was habe ich dann gewonnen?

Warum behalte ich die goldene Gans nicht einfach in meinem Leben und verschenke die Eier?
Die Anzahl an Eiern kann ich aktiv beeinflussen.
Ich zahle so wenig Steuern wie sonst kaum jemand.
Ein Viertel muss ich dem Staat geben, der Rest gehört mir.

Wenn ich von meiner Gans jeden Tag ein Stück von 1000 Euro abschneide, bin ich in nicht allzu ferner Zukunft pleite.
Wenn ich jeden Tag für den Rest meines Lebens ein Ei von diesem Wert verschenke, kann ich dann nicht so viel mehr erreichen?

Ich kann ein System, das Armut zulässt, nicht verändern.
Nicht allein, nicht so. 
Aber ich kann es zu meinem Vorteil nutzen.

Mache ich mich damit mitschuldig? Ich weiß es nicht.

Kati 08.05.2023, 08.33| (4/0) Kommentare (RSS) | PL | einsortiert in: Gedankenchaos



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

woanders:







Einträge ges.: 421
ø pro Tag: 0,1
Kommentare: 478
ø pro Eintrag: 1,1
Online seit dem: 21.04.2016
in Tagen: 3300

Do what is right. Not what is easy.
you want. It doesn't matter anyway.