
Die Diagnosen kamen unerwartet.
Wenn man sein Kind regelmäßig zu allen Vorsorgeuntersuchungen schleppt und der Arzt aufgrund von Vorerkrankungen kein Fremder ist, dann... ja was eigentlich? Dann erwartet man irgendwie, dass man eine neue Diagnose am Anfang erwischt, oder?
Nicht schon im Stadium: Oh, das ist jetzt kritisch, hier, ihr Behindertenausweis.
So eine Diagnose hat uns vor einigen Wochen erwischt und seitdem steht unsere Welt Kopf.
Vor allem unser Alltag, der seit 18 Monaten ohnehin keiner mehr ist.
Und hier kommt meine Baustelle hinzu: Wut.
18 Monate lang haben wir uns an alle Beschränkungen gehalten.
Wir haben seit 18 Monaten keinen Freund mehr getroffen, keinen Menschen mehr umarmt, nichts. Keiner von uns.
Als Haus, das immer mit Menschen voll war, die hier einfach vorbeikommen, mitessen, mitfeiern, mit uns sind... war das doppelt hart.
Wir haben keinen Geburtstag gefeiert, wir sind nicht rausgegangen, nicht essen, nicht ins Kino, nicht auf Partys, nichts.
Wir haben uns impfen lassen, als es möglich war und tun trotzdem immer noch nichts, um die Ungeimpften zu schützen.
Dann war am Ende der Sommerferien dieser Lichtblick auf Alltag da.
Ein paar Stunden am Tag für mich, die Akkus wiederaufladen, die seit 15 Monaten dunkelrot blinken. Dauerhaft.
Und dann tastet man bei einer Umarmung des Kindes etwas, das da so nicht hingehört und hat eine Woche später eine Diagnose, die den gesamten Alltag umkrempelt.
An diesem Punkt kommt die Wut.
Wut ist in diesem Fall eigentlich nur Trauer, in eine Form gegossen, die man aktiv bewältigen kann, statt passiv an ihr zu verzweifeln. Und das macht sie so wichtig.
Weil man weitermacht.
Jeden verdammten Tag.
Jeden weiteren Schritt.
Die stundenlangen Fahrten zu Fachärzten, die Termine jeden Tag, die neuen Diagnosen, die dazukommen, die Aussicht auf monatelange Trennung vom Sohn, der Aufenthalt in der Klinik weit weg... all das ist mit Wut sehr viel besser zu bewältigen als mit Verzweiflung.
Wut hat den Vorteil, dass sie nicht erschöpft, solange sie brennt.
Man darf nur nie aufhören, nie innehalten, nicht ausruhen.
Sonst fällt alles in sich zusammen.
Auch dafür wird es eine Zeit geben.
Aber die ist nicht jetzt.