Thema: Vom Leben und Sterben
Kati 10.08.2024, 18.00 | (0/0) Kommentare | PL
Irgendwann kommt der Tag, an dem ich das Weiter, weiter! in meinem Kopf einfach ignoriere und stehenbleibe. An dem ich einfach nicht mehr weiter gehe, weil ich schon so viele Jahre eigentlich nicht mehr kann. Irgendwann. Und es wird ein wohliges Gefühl sein, weil ich meine Aufgaben hier erledigt habe und mich endlich zur Ruhe begeben kann. Nie wieder etwas fühlen, nie wieder Schmerz, nie wieder irgendetwas. Der Tod ist verlockend für Menschen wie uns. Ewiger Frieden.
Aber noch ist es nicht so weit. Und so schleppe ich mich seit Wochen durch Nächte, in denen sich der Suizid meines Vaters in Endlosschleife vor meinen Augen wiederholt. Mal bin ich nur dabei, mal bin ich er, mal ist er ich, alles verschwimmt ineinander und in dem Augenblick, in dem ich spüre, dass das Gift wirkt, ist der, in dem ich aus dem Schlaf hochschrecke und lange Momente nach Luft ringen muss, mein Gehirn verzweifelt kontrollierend, ob ich noch atmen kann, mein Herz noch schlägt…
Die Tage sind durchzogen vom Schmerz des Unverständnisses, das mir begegnet. All die Arbeit scheint umsonst, wird klein geredet, nicht so nötig, eigentlich alles nicht so schlimm, nicht so extrem, wie ich es darstelle, nicht so dringend, nicht so wild. Die Suche nach Empathie scheint vergebens, vielleicht ist es auch einfach nicht möglich, vielleicht muss ich einfach auch mal aufgeben können, um mich nicht selber zu zerstören.
In Wut und Schmerz und Trauer und Trauma habe ich eine schreckliche Fehlentscheidung getroffen und habe mich hinreißen lassen, mich selbst zu verletzen. Fataler als geplant, der Fuß ist hin und wie immer in diesen Fällen bestrafe ich mich mit dem Schmerz für die Verletzung. Ich bin es nicht wert, geschont zu werden, es ist nur gerechte Strafe, dass jeder Schritt mir durch Mark und Bein fährt, ich wollte es so, selber schuld, trag die Konsequenzen. Und das tue ich. Und ich merke jeden Vormittag, wie der Schmerz und die Kälte mich übermannen, ich nur noch schlafen will, nach dieser schon nur so geringen Belastung, die ich mir zumute - Gassi, einkaufen, Kinder betüdeln - ich zittere mich vor seelischer Erschöpfung durch die erste Hälfte des Januars und habe dabei nur Verachtung für mich übrig.
Ich kann nichts, ich bin nichts, ich scheitere selbst an der Liebe.Kati 08.01.2024, 12.00 | (2/0) Kommentare (RSS) | PL
Etwas fehlte
noch. Ich konnte es nicht greifen, aber das Puzzle war noch nicht fertig.
Es
klaffte eine Lücke mitten im Bild.
Und als ich mit den Kleinen auf dem Weg zum sehr großen Kind im Auto saß und nach hunderten von Kilometern den charakteristischen Berg hinauffuhr, hinter dem sich die Abfahrt zu dem Heimatort meiner Jugend befand, traf ich eine Entscheidung.
Wie unendlich vertraut
die Straßen waren, die Gebäude, alles. Mein Spiegel auf dem Beifahrersitz fragte
besorgt, ob alles in Ordnung sei, kaum dass wir den ersten Ort durchquerten.
Ich antwortete nicht. Die kurvige Strecke durch die Weinberge, so viele prägnante
Orte, so viele Erinnerungen, die mich überschwemmten, ich konnte einfach nichts
sagen. Als wir auf die Straße fuhren, die direkt zu meinem Elternhaus führen
würde, schnürte sich meine Kehle zu. Ich schaffe das nicht!, hämmerte es in meinem
Kopf. Weiter! skandierte es synchron.
Bauch vor Kopf, immer. Aber da war nur
noch ein Klumpen aus Angst und Panik und dem unausweichlichen Drang, etwas zu
beenden, das ich schon zu lange vor mir hergeschoben habe.
Vor 15 Jahren war ich das letzte Mal hier. 15 Jahre. Es war so viel passiert.
Ich bog in die Auffahrt ein und hielt direkt vor dem Haus an. Musterte die teuren Wagen, die davorstanden. Ich wusste, dass es an eine Familie verkauft wurde, die eine große Firma besitzt. Und dass sie viel verändern wollten, als sie es kauften.
Haben sie
nicht.
Das schmiedeeiserne verschnörkelte Tor, das ich in mühevoller Kleinarbeit
mit meinem Vater zusammengeschweißt hatte, hing immer noch an der einen Stelle
schief, so dass es nicht von den goldenen Römerköpfen gehalten werden konnte,
wenn es offen stand. Die Mauer zum Wohnwagenstellplatz hin, die ich gemauert hatte,
war schmuddelig und ungepflegt und bräuchte dringend einen Kärcher und danach
einen neuen Anstrich. Die Lampen auf den Mauersockeln waren mit Moos bedeckt
und unpoliert. Die Büsche schlecht geschnitten. Das Dach müsste vielleicht mal
neu gedeckt werden. Die große Weide, in der ich so viele Stunden als Kind
verbrachte, war weg und ist dem hässlichen Riesenwacholder gewichen, auf den
ich allergisch reagierte.
„Mama?“
Ich zuckte zusammen. Wir saßen immer noch im Auto.
„Wo sind wir?“
- Das ist mein Elternhaus. Hier habe ich gewohnt, als ich so alt war wie ihr beide jetzt.
Wir stiegen aus. Halb hoffte ich, es würde jemand aus dem Haus treten, dem ich mich vorstellen könnte, halb fürchtete ich es. Es geschah nichts. Und so stand ich da und wusste nicht so recht, wohin mit mir. Das epische Erlebnis blieb aus. Sollte ich mich geirrt haben? War es gar nicht wichtig, dass ich hierher kam?
„Das Haus ist superhässlich.“
Ich sah mein Kind an. Und dann das Haus. Ich hatte nie auch nur irgendetwas anderes als Bewunderung für dieses Gebäude gehört.
Die Kriegerin sah sich skeptisch um. „Und was hast du hier so gemacht?“
- Meistens bin ich weggelaufen. Hinter dem Haus beginnen die Felder, der Bach und wenn man einige Kilometer querfeldein gelaufen ist, ist da eine gigantische…
„Zeig es uns!“
Der Butz
lachte und spurtete los. Ich setzte mich in Bewegung und fühlte mit jedem
Schritt, wie sich die Vergangenheit mit der Gegenwart synchronisierte.
Hier.
Hier musste ich hin.
Ich lief schneller. Die beiden Kinder rannten den Weg
neben dem Bach entlang Richtung Felder. Kaum dass wir die Häusergrenze hinter
uns gelassen hatten, umfing mich die ohrenbetäubende Stille, wegen der ich
früher immer hierhin flüchtete. Plötzlich war ich 8, ich war 12, ich war 15, ich
war 45, es war Morgen, es war Tag, es war Mitternacht, es war jetzt und vor 30
Jahren, als ich erschöpft vom Laufen im Sommer unter klarem Sternenhimmel zu
Boden sank, in die Unendlichkeit des Weltalls blickte und erkannte, wie klein
und bedeutungslos wir alle im Vergleich zum großen Ganzen waren. Und trotzdem ein Teil davon. Ich spürte, wie mich der Trost durchströmte, die Kraft,
die ich früher an genau diesem Ort gesammelt hatte, um mich dem nächsten Tag zu
stellen. Um nicht aufzugeben, um nicht wahnsinnig zu werden.
Hier war ich richtig. Das Haus war gar nicht der Ort, an den ich zurückkehren musste. Wie blind ich war. Hier. Hier waren viel wichtigere Weichen für mein Leben gestellt worden.
Ich zeigte den Kindern den geheimen Übergang über den Bach, der hinter dichtem Bewuchs verborgen lag. Wo ich unter der Brücke in die Maueraussparung gekrochen war, um mich zu verstecken, wo ich geschlafen habe, wenn mich keiner suchte. Wo ich glücklich war.
Wo ich glücklich war…
Diese Worte brachten alles in mir zum Klingen. Hier. Hier war ich früher glücklich. Hier war Hoffnung. Meine Hoffnung. Hier war das Herz grün und voller Zuversicht für meine Zukunft.
Hier war ich frei.
Als wir Stunden
später fuhren, wusste ich, dass ich nicht mehr zurückkommen würde.
Das letzte
Puzzleteil liegt an seinem Platz.
Kati 10.12.2023, 06.00 | (6/0) Kommentare (RSS) | PL
Kati 31.01.2023, 10.42 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL
Kati 12.01.2023, 07.58 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL
Kati 16.12.2022, 08.47 | (6/0) Kommentare (RSS) | PL
Kati 08.11.2022, 14.00 | (3/0) Kommentare (RSS) | PL
Kati 24.03.2021, 16.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL
Kati 23.09.2020, 12.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL