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Thema: Vom Leben und Sterben

Nur warten.

Im Verlauf der letzten 6 Monate zeichnete sich ab, dass der schwedische Nachlassverwalter und ich eine deutlich differierende Vorstellung vom Wort schnellstmöglich haben, so viel ist inzwischen klar.

Alle Unterlagen sind eingereicht, es wird von Staatsseite noch ein bisschen herumgekaspert, welches Land nun wieviel Anteil an welchem Vermögen haben möchte und bevor nicht alle Beteiligten zufrieden sind, kann Norvid, der Nachlassverwalter leider auch nicht seine eigene Rechnung stellen und damit schon mal gar nichts an mich auszahlen. Soweit, so gut. Zwischendurch war Norvid aber auch mal schlimm krank und konnte dann 6 Wochen lang nicht mal über diesen Umstand informieren, nutzt in jeder seiner Mails das Wort schnellstmöglich und allmählich habe ich den Eindruck, dass er google translate einfach auch nicht benutzen kann.

Das letzte Jahr war zermürbend für uns, auch in finanzieller Hinsicht. Die Aufenthalte und Begleitungen des Sohnes in Krankenhäusern, Spezialkliniken und Reha haben Unmengen an Zusatzkosten verschlungen, wir kämpfen mit Preiserhöhungen, alten Rechnungen, neuen Zuschlägen und theoretisch wäre es jetzt ein wahrer Segen, wenn die Nachlassangelegenheit in Gang käme. Nicht nur für mein Seelenheil, auch für unser Konto.
Ich weiß ungefähr, was auf mich zukommt. Es ist nur noch ein winziger Bruchteil dessen, was meine Herkunftsfamilie mal besessen hat, aber alle Schulden wurden bezahlt, alles Land, alle Gebäude, alle Fahrzeuge wurden verschenkt oder überschrieben, ich bekomme den Rest einer jahrzehntelangen Reise, die allen Beteiligten nicht gut zu Gesicht stand und werde in eine Zukunft investieren, die nichts mehr davon erahnen lässt.

Bin trotzdem dankbar, dass mein Vater sich an fast alle unsere in den letzten fünf Jahren getroffenen Abmachungen gehalten hat und ich jetzt nicht persönlich durch die Weltgeschichte gondeln muss, um rechtliche Dinge zu klären.

Ich muss nur warten.
Und das zerreißt mich.

Kati 31.01.2023, 10.42 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Weiter.

Ich sitze im Garten unter dem Regenschirm und versuche, mich in die Dunkelheit fallen zu lassen. Nasskalte Luft einzuatmen, immer ein und wieder aus.
Der Brechreiz ist unerträglich.
Ich kann das.
Ein und wieder aus.
Ich versuche, das Migränemedikament drin zu behalten und in meinem Gehirn kreisen chemische Zusammensetzungen von Medikamenten und Giftstoffen und Beipackzettel und Obduktionsbericht.
Ein.
Und wieder aus.
Ich kann das.
Ich versuche, meine Gedanken zuzulassen, aber nicht festzuhalten. Alles im Fluss. Spüre, wie mein Magen sich zusammenkrampft. Er ist eine faszinierende Sache, unser Geist, selbst in solchen Momenten.

Der große Bärenkopf auf meinem Schoß wird schwerer und schwerer. Der Druck wird höher, intensiver - hallo, hier bin ich, bleib auch du bei mir. Das hat er schon als Baby gemacht und nun als erwachsener Rüde hat er die Reife und Erfahrung hinzugewonnen, zu wissen, ob das reicht, oder ob er mich anders zurückholen muss. Ich würge. Er entscheidet sich, meine Haut unter der Hose zwischen seine Zähne zu nehmen und sacht daran zu knibbeln. Feine Nadelstiche, Schmerz, der mich durchflutet, aber auf die gute Art. Die, die zeigt, dass man lebendig ist, ohne davon zerrissen zu werden.

Einatmen.
Ausatmen.
Ich lege die Hand auf seinen Kopf und er brummt bestätigend.
Das habe ich wohl gut gemacht.
Immerhin.

Die Kinder sind inzwischen wach und geistern durchs Erdgeschoss. Zwei Köpfe erscheinen in der Haustür und fragen, wie es mir geht, ob ich Kopfschmerzen und Zyklus habe. Ich bejahe. Man bringt mir einen Kakao und eine Pizzaschnecke.

Hier ist Liebe.
Ich bin nicht allein.

Ich sitze nicht in Schweden auf einer Veranda und habe mich vergiftet, ich bin zuhause und habe eine angemessene Dosis von einem Schmerzmittel genommen, das ich vertrage und werde irgendwann sterben, aber nicht jetzt.

Der braune Bär vor mir wedelt inzwischen, ich bin wieder da.
Ich schiebe ihm die Pizzaschnecke in die Schnute und stehe auf.

Weiter.

Kati 12.01.2023, 07.58 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Asche zu Asche

Erde zu Erde.

Asche zu Asche.

Dein Obduktionsbericht ist da. Ich weiß eigentlich gar nicht, ob ich dir heute schreiben will. Meine Nacht war grauenvoll, schwedische Worte mischten sich mit den Bildern, die mein Gehirn malte, wie du deine letzten Momente auf diesem Planeten verbracht hast. Wortfetzen, repetitiv blinkend, grausame Szenen übermalend, bis ich schweißgebadet aufgewacht bin. Zustand nach… Perforation der… 
In einer Woche ist Weihnachten, ich habe Post vom Nachlassgericht, das Erbe ist freigegeben, wir haben eine tief verletzte Seele, um die wir uns gerade kümmern, wir haben Sorge um Tiere, völlige Erschöpfung am Ende eines Jahres, das für mich in weiten Teilen einfach nur horrende Erfahrungen und Reaktivierung alter und im Griff zu haben geglaubter Traumata bereithielt.

Und nun halte ich deinen Obduktionsbericht in Händen, fange an zu lesen, weil ich erwarte, dass eine der Fragen, die mich seit 5 Monaten nachts wachhalten, endlich beantwortet werden kann.
Mehrere Chemikalienflaschen unter dem Stuhl…
Ich sitze hier und bin zum ersten Mal nicht wütend, nicht eingeschüchtert, nicht voller Hass, nicht voller Angst, nicht voller Sehnsucht, nichts von all meinen bekannten Gefühlen für dich.
Gar nichts. 
Nur eines, das ich noch nie bei dir oder für dich empfunden habe: Mitgefühl.
Tüte in der Hand, gefüllt mit…
Da sind sie wieder, die Wortfetzen.
Mein Magen dreht sich.
Nicht aus Ekel, nicht aus Abscheu, nur aus Mitgefühl.
Du warst allein. So verzweifelt.
Und ich hätte so gerne festgehalten an diesem Bild, wie du da sitzt und auf deinen See siehst, deine Heimat, in Frieden…

Wissen kann man nicht zurückgeben.

Hier schließt sich ein Kreis, nicht wahr?
Ich spüre, wie sich mein Herz öffnet.
Das echte Gefühl. 
Da, wo du nie hinkamst. 
Und jetzt musstest du dich erst selber auf solch qualvolle Art töten, damit mein Schutzpanzer einen Riss bekommt?

Weitere Substanzen im Haus...
Niemand sollte so sterben. Niemand.
Nicht in der Humanmedizin zugelassen… 
Ich will mein Bild wieder zurück. Veranda, See, Schaukelstuhl.

Ich habe genug medizinisches Wissen um anhand der Rückstände in deinem Blut erahnen zu können, wie die Minuten sich gezogen haben müssen.

Und es tut mir leid. Es tut mir so unendlich leid, Dad.
Ich wünschte, wir wären uns in einem anderen Leben begegnet.
Ich wäre gerne ein Kind gewesen, das deine eigenen Wunden heilt.

Ich denke, es ist bald an der Zeit, dass wir uns voneinander verabschieden.

Kati 16.12.2022, 08.47 | (6/0) Kommentare (RSS) | PL

Von der Angst

Die Angst war lange Jahre die treueste Begleiterin des Kobolds.
Ich schätze, dass er heute darum auch so mutig ist, denn nur wer die Angst kennt, findet den Mut.

Sein schlimmster Feind war ein gleichaltriger Junge, mit dem er eingeschult wurde und von dem er tagein tagaus gepiesackt wurde. Erst war es nur ärgern, dann mobben, dann kam körperliche Gewalt dazu. Und ein Kobold kam jeden Tag weinend aus der Schule und schwor mir, dort nie wieder hinzugehen.
Ich versuchte alles. Wir haben viel über Notwehr gesprochen, aber allein die Vorstellung, jemandem weh zu tun, brach so verzweifelt über dem kleinen Jungen zusammen, dass er nur umso bitterlicher weinte. Einfach nur aufhören sollte es.

Es hörte nicht auf.

Gespräche mit Lehrern, die nichts gesehen hatten, mit Pausenaufsichten, die Dinge sagten wie „Jungs halt“ oder „Dann soll er sich wehren!“ und es änderte nichts.
Es wurde schlimmer und die Angst wurde größer.
Ich brachte den Kobold jeden Tag zur Schule und natürlich passierten diese Dinge nicht, wenn ich dort stand. Also legte ich mich auf die Lauer. Ungesehen, von beiden. Und es dauerte nicht lange. Ein Erstklässler wie ein Bulldozer - doppelt so breit und schwer wie der Kobold - und der seine Masse, seine Kraft und all seine Wut gegen andere Kinder richtete.

Er hielt den Kobold fest, schlug, lachte. Der Kobold weinte und wimmerte und schrie um Hilfe. Und ich sah rot. Ich stürmte auf den Schulhof, an Lehrern vorbei, die Schülermenge teilte sich vor mir, wie ich wutentbrannt auf diesen Jungen zustampfte, bereit, mein Kind zu verteidigen. Ich hörte das Rufen hinter mir kaum, nur noch das Rauschen des Blutes in meinen Ohren.
Er stand mit dem Rücken zu mir, drehte sich irgendwann um, während ich noch auf ihn zukam und ließ den Kobold los. Ich hob mein Kind auf den Arm und stellte mich vor ihn. Meine Stimme war leise. 

Du wirst meinen Sohn nie wieder anfassen! Nie. wieder. Hast du mich verstanden?

Er nickte bleich.

Ich drehte mich um und ging. Holte die Sachen des Kobolds aus der Schule, erklärte den Lehrern, dass ich diesen Vorfall mit allen anwesenden Zeugen und dem Direktor besprechen werde und jetzt mein Kind mit nach Hause nehme.

Im Rahmen der Aufarbeitung dieser Vorfälle habe ich die Eltern des Jungen kennengelernt. In Gesprächen mit der Mutter eine Freundin gefunden und beim ersten Treffen auf ihren Ehemann erkannt, warum der Sohn ein Täter war. Viele Opfer werden im Draußen zu Tätern.

Es sollten noch weitere Jahre vergehen, bis dieser Junge das erste Mal bei uns zu Besuch war. An Wochenenden hier übernachtete. Dem Kobold ein Freund wurde. Ein Echter.
Und je älter die beiden wurden, desto weiter wuchsen sie zusammen. Bis der Krebs kam. Bis Dinge passierten. Bis der Hass in diesem Jungen wieder so groß wurde, dass der Hass irgendwo anders hin musste, um seine Seele nicht zu zerfressen.
Ganz abgerissen ist der Kontakt der Beiden nie. Wie auch. Mein großes Kind ist mit der großen Tochter befreundet, mein kleines Kind einer der besten Freunde ihres kleinen Kindes und die Zweitgeborenen konnten sich nicht aus dem Weg gehen. Nicht vollends. Wenn von 11 Kindern 6 regelmäßig miteinander Dinge unternahmen, dann sieht und trifft man sich nicht nur in der Schule.

Er hat sich über die Jahre einen besonderen Platz in meinem Herzen erkämpft. Von völliger Abneigung zu dem Bedürfnis, ihn zumindest ein Stück weit zu schützen, für den Teil, der in meiner Macht liegt. Und Sympathie. Ja. Da ist Sympathie für diesen kriminellen 2-Meter-Brecher von Jugendlichem, der säuft, raucht, Drogen nimmt und herumrandaliert und innen so klein und wund ist, dass ein Lächeln von mir reicht, um die Maske kurz sinken zu lassen.

Und nun?
Nun ist der einzige Mensch, für den er sich angestrengt hat, sich durchzubeißen, die Schule doch noch in Angriff zu nehmen, sich zu bessern, seine Probleme in den Griff zu bekommen, weg.

Tot. 

Die Angst, die ihn die letzten Jahre fast aufgefressen hat, dass seine Mama ihn verlässt, die erschlägt ihn nun. Er ist alleine mit ihm. Mit dem Vater, der ihn hasst. Alleine mit vier Geschwistern, drei davon jünger.
Um die er sich jetzt alleine kümmern soll. 
Stunden nach ihrem Tod diese Sätze: „Du bist jetzt verantwortlich. Du kümmerst dich jetzt um die Kleinen. Ich muss arbeiten. Das ist jetzt deine Verantwortung. Stell dich nicht an.“

Wie oft habe ich von ihr gehört, sie will nur so lange durchhalten, bis die Kinder alle für sich selber sorgen können. Nur noch diese Jahre.
Das war ihr Mantra in unseren Gesprächen, wenn wieder eine Diagnose dazu kam. Dann mit fortschreitendem Verfall nur noch die Hoffnung, durchzuhalten, bis zumindest dieser Eine volljährig ist, damit er ausziehen kann

Es hat nicht geklappt.

Der Kobold ist da und hört zu.
Versucht, ein Anker zu sein, der ein Angebot bereit hält, wenn alles zu viel ist.

Und ich habe Angst um dieses Kind.
Schon längst nicht mehr um meines.
Sondern jetzt um ihres.

Ich kann nur hoffen, dass er irgendwann erkennt, dass sein Mut fürs Leben nicht mit Mama zusammen gestorben ist, sondern irgendwo unter seiner ganzen Angst noch in ihm darauf wartet, dass er ihn findet.

Kati 08.11.2022, 14.00 | (3/0) Kommentare (RSS) | PL

Totengräber. Eine Liebeserklärung an den Tod.

Ich habe in meinem Leben schon so viele Tiergräber ausgehoben.
So unendlich viele. 
Ich habe beim Schaufeln versucht, die Tiere zu zählen, die mich in meinem Leben bis zu ihrem Tod begleitet haben. Es sind weit über 50 Namen geworden und einige mehr fallen mir immer noch ein. 

Als ich klein war, bin ich den letzten Gang mit ihnen immer alleine gegangen. 

Ich erinnere mich an die schrecklichste Nacht, als ich abends – mit Gipsschienen seit Wochen an beiden Armen – entdeckte, dass mein Kaninchen tot war.
Es fror seit Tagen, der Boden war steinhart.
Meine Eltern boten mir als Alternative wie immer den Müll an.
Ich trug dieses steife Tier im Arm, konnte es nicht richtig greifen, nicht halten, nicht mehr kuscheln, weil der Gips jede Umarmung unmöglich machte.
Es war dunkel. Ich holte mir den Spaten, konnte ihn nicht umfassen, weinte, allein in der Dunkelheit und Kälte. Mit der Spitzhacke habe ich unbeholfen ein wenig Erde abhacken können, nicht genug für ein Grab. Ich setzte mich irgendwann mit meinem toten Tier verzweifelt auf den Boden und heulte. Ich konnte nicht mehr. Und ich konnte dieses Tier nicht einfach wegwerfen.

Durch das gigantische Panoramafenster konnte ich meine Eltern im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzen sehen. Unbekümmert. Lachend.

Bei allem, was ich bis dorthin bereits erlebt hatte, hatte ich mich noch nie so allein gefühlt. 

Irgendwann kam die Wut. Heiß. Lodernd. Alles verzehrend. Ich schlug mir die Gipsschienen an den Steinen auf und riss sie mir von den schwachen Handgelenken. Alles in mir brannte vor Hass. Ich griff zum Werkzeug und arbeitete mich Zentimeter für Zentimeter durch den gefrorenen Boden. Ich spürte weder Schmerz noch Tränen noch Kälte. Nichts mehr. Das Verlangen nach einem würdevollen Abschied, nach einem Grab, nach dem letzten Gang gemeinsam mit meinem Tier war so stark, dass ich mich völlig verausgabte.
Irgendwann kauerte ich mich mit ihr auf den Boden und wiegte uns summend hin und her, bevor ich sie in ihre letzte Ruhestätte bettete.

Was ich mir in diesen Stunden schwor, brannte lange in mir.
Die Zeit hat das flammende Inferno aus Hass in ein helles Leuchten verwandelt, wie ich dem Tod begegnen will.
Nicht in Kälte, nicht in Dunkelheit, nicht allein. 

Ich denke an meinen Großvater, zu dem ich mich in den Sarg gekuschelt habe, während mein Sohn fröhlich Gummibärchen mampfte. Die Küsse, die ich auf seiner Stirn verteilt habe, so wie er das in meiner Kindheit bei mir getan hatte. An seine Beerdigung, auf der ich seine Urne getragen habe. An meine drei ganz in weiß gekleideten Kinder, die im Sonnenschein über die Friedhofswiese getanzt sind.

Ich denke an meine Großmutter, die wir hier nach Hause geholt haben. An den sonnig-windigen Augusttag, als sie das letzte mal ausatmete, während ich ihre Hand hielt. Als mein Kind sagte, wir müssen die Fenster weit aufmachen, damit ihre Seele fliegen kann. Als wir sie als Familie alle gemeinsam gewaschen und angezogen haben, damit sie vom Bestatter abgeholt werden kann. An das Lachen, an das Winken hinter dem Leichenwagen her, an das Lebewohl. 

Ich denke an meinen ersten Hund, den wir im Sterbeprozess jeden Tag auf eine Wiese getragen haben, wo wir einfach nur saßen und warteten, dass er bereit war zu gehen. An den Tag, an dem der Mann ihn auf seine Arme nahm und er ein allerletztes Mal seine Nase hoch in den Wind reckte, als wolle er den ganzen Himmel einatmen, bevor er dann im Arm des Mannes gestorben ist. 

Ich denke an meine Tochter, die die Ärzte im Krankenhaus „entsorgen“ wollten. Wie ich mich zum Mann umwandte und mit fester Stimme sagte: „Wir gehen jetzt.“ Wie ich einen Tag später, mit Nachwehen und gerade von einem toten Kind entbunden, mit einem Säugling vor der Brust und dem Mann an der Hand zu unserem Fluss ging, zu unserer Insel, und unser Baby mit Blumen und einem letzten Schlaflied der Erde zurückgegeben habe. 

Ich denke an unzählige Tiergräber, vor denen wir mit unseren Kindern standen. An Blumen, an Sonnenschein, an Tränen und Lachen, an Kuscheln mit toten Tieren und Umarmungen, die so weh und so gut tun.
An Grabsteine, selbst beschriftet und bemalt, an Kerzen, an selbstgebastelte Holzkreuze. 

Morgen gehen wir diesen Weg wieder. Ich begleite den dicken Hasenbären auf dem letzten Weg, er darf auf meinem Arm in einer Decke einschlafen und dann nehme ich ihn wieder mit nach Hause. Das Grab haben wir heute alle gemeinsam ausgehoben, wir haben uns drumherum gesetzt, erzählt, gelacht, gegessen, die Sonne genossen. Morgen werden wir ihn auf Blumen betten und gemeinsam von ihm Abschied nehmen. 

Und wir werden weinen. Gemeinsam.

Kati 24.03.2021, 16.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Von der Freiheit

Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben beinhaltet das Recht auf einen selbstbestimmten Tod.

Auch während der Veränderung vieler moralischer Wertvorstellungen im Laufe meines Lebens blieb dieser Punkt für mich persönlich ethisch immer unangreifbar.

Der frei gewählte Tod ist ein Menschenrecht.
Menschen zu zwingen, auf entwürdigende oder schmerzhafte Art und Weise ihr Leben zu beenden, ist einfach nur grausam.

Wir brauchen Möglichkeiten, Menschen für diese Entscheidung ein sicheres Hilfsmittel an die Hand zu geben. Letzten Endes kann und darf diese Entscheidung nur ein Mensch für sich selber treffen. Seit ich klein war, habe ich die verschiedensten Gründe für diesen Weg gehört. Angst vor dem Altsein oder vor Schmerzen. Auch die Variante, auf dem gefühlten Höhepunkt des Lebens gehen zu wollen, war dabei. Meistens drehte es sich allerdings um das Gefühl, die letzten Jahre seines Lebens nicht in Hilflosigkeit und Abhängigkeit von anderen verbringen zu wollen.

Ich habe an meiner Großmutter schmerzlich erfahren müssen, wie qualvoll sterben sein kann. Über Jahre hinweg. Mit dem offen kommunizierten und ausdauernden Wunsch, bitte doch einfach nur endlich sterben zu wollen.

Wie oft hat sie mich gebeten, ihr zu helfen und ich konnte nicht.
Ich konnte einfach nicht, weil es hier keine Möglichkeit gibt, jemandem diesen Wunsch zu erfüllen, ohne sich selber eines schweren Verbrechens schuldig zu machen.
In Absprache mit dem Arzt habe ich ihr dabei geholfen, diesen Weg hier bei uns im geschützen Rahmen selber zu gehen. Er hat ihr genau erklärt, welche Tabletten für das Fortbestehen ihres Lebens unerlässlich sind und dass niemand sie zwingen kann, diese Tabletten zu nehmen.
Wir haben sie auf diesem Weg begleitet und es war eines der schwersten Dinge, die ich jemals ertragen musste.
Der langsame und qualvolle Verfall, der nur mit Unmengen an Schmerzmitteln erträglich wurde.

Mein Vater hat immer klar kommuniziert, dass er dieses Leben beenden wird, wenn er zu krank ist, um alleine das Leben seiner Wahl zu führen.

Ich kenne die genauen Kriterien für diese Entscheidung und ich weiß, wie er sich das Leben nehmen wird. Ich habe keine Angst davor, weil ich weiß, dass dies der letzte Akt und Ausdruck dessen ist, was er für richtig hält. Der Inbegriff von Freiheit und Selbstbestimmung. Es ist egal, wie ich darüber denke. Es ist nicht mein Leben.
Er lebt alleine, abgeschieden von jeder Zivilisation und Krebs ist ein Thema.
Inzwischen auch ohne ärztliche Begleitung, weil er die ablehnt.
Ich weiß, dass jeder Austausch der Letzte sein kann.

Es macht mich achtsam - und unglaublich dankbar, diese Chance mit ihm noch bekommen zu haben.

Kati 23.09.2020, 12.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Gute Reise

Heute hat uns ein ganz wundervolles Tier verlassen.
Unsere Ausbrecherkönigin, unsere Abenteurerin. "The Explorer" hat der Mann sie immer genannt und es hätte wohl keinen besseren Namen für sie geben können. 

Als die Kinder ihre ersten "eigenen" Tiere bekommen haben, war sie ganz vorne mit dabei.
Das große Tochterkind suchte sie aus und sie und ihre beiden Kaninchenschwestern zogen bei uns ein.
Jahre später war sie die tollste Mutter für den allerschönsten Babykeks auf diesem Planeten. Und es ist schön, dass ein Teil von ihr mit ihrer Tochter hierbleibt.

Als ich sie heute Morgen im Stall gefunden habe, schon steif und kalt, aber noch bekuschelt von ihrer Gruppe, da suchte ich nach Krankheitsanzeichen, aber da war nichts. Alles sauber, alles entspannt. Sie muss im Schlaf gestorben sein und vielleicht war es in ihrem Alter einfach an der Zeit. Wer weiß das schon... 

Ich bin traurig. Aber versöhnt mit ihrem Leben hier bei uns. Es war rund und gut, wie es war. 

Und so saß heute Mittag die Kriegerprinzessin mit wütenden Tränen und einem toten Tier im Arm neben mir in der Küche und vergrub ihr Gesicht in dem weichen duftenden Fell, während ich Suppe für uns kochte. 

Leben und Tod sind manchmal so eng beieinander, dass es mich fast körperlich schmerzt, diesen nur scheinbaren Widerspruch auszuhalten und zu ertragen.

Die Unfähigkeit, das Leben festzuhalten, macht mich auch heute noch hilflos. 
Aber nicht mehr so hoffnungslos wie noch vor Jahren.

Kati 21.01.2020, 16.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Nachlass

Ein Tagebuch ist etwas zutiefst Persönliches.

Und wenn man ein Fremdes in Händen hält, ist es eine ebenso persönliche Gewissensfrage, ob man wirklich erfahren möchte, was darin steht. Es gibt mitunter Dinge, die man vielleicht lieber nicht gewusst hätte.
Und Wissen kann man nicht zurückgeben, das ist das einzig Tragische daran.

Ich habe wie geplant meine Tagebücher (die, die ich nicht weggeworfen oder gelöscht habe, weil sie irgendwann zu belastend für mich selber wurden) Korrektur gelesen, mit einigen wenigen fehlenden Bildern versehen und in vernünftige Buchform gebracht.

Im Moment kommen sie alle nach und nach aus der Druckerei und wandern in meine Nachlasskisten.
Dort finden sich für jedes Kind einzigartige Erinnerungsstücke, Mutterpässe, Briefe, die ich seit Jahren schreibe und nun eben auch meine gedruckten und nach Jahren sortierten Tagebücher.

Ich versuche so zu leben, dass ich meine Kinder jeden Tag mit Geschichten aus ihrem und meinem Früher und mit bleibenden Erlebnis-Erinnerungen versorge, aber vielleicht ist es irgendwann gut, wenn man etwas zum Anfassen hat, an dem man sich auch mal festhalten kann.
Oder es ungelesen verbrennt.
Aber das liegt dann nicht mehr in meinen Händen.

Kati 14.01.2020, 18.00 | (1/1) Kommentare (RSS) | PL

Wenn du nicht tot wärst...

... dann hättest du heute Geburtstag.

Hört man im Tod auf, Geburtstag zu haben?

Auf jeden Fall wohl nicht für die Lebenden. Und so wird auch für mich dieser Tag Zeit meines Lebens immer mit deinem Geburtstag verbunden sein.
Du bist jetzt fast 2 Jahre tot. Die Umstände deines Sterbens haben mir den Abschied von dir leicht gemacht. Dein Schweigen war immer leichter zu ertragen als der offene Hass. Weh tat beides.

Ich war noch keine 10 Jahre alt, als ich aufhörte, Mama zu dir zu sagen. Dieses Wort kam nie wieder über meine Lippen und auch in Gedanken nenne ich dich niemals so. Ich habe im Grunde keinen richtigen Namen für dich. Vielleicht hätten wir noch einen gefunden, wenn wir die Chance auf ein letztes Gespräch gehabt hätten... Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass ich seit fast 2 Jahren meinen Vater wiederhabe. Neu kennenlerne. Anders kennenlerne. Das wäre nicht geschehen, wärst du nicht so früh gestorben. 

Manchmal besuchst du mich noch in meinen Träumen. Nicht mehr so bedrohlich wie früher. Es ist inzwischen okay. Ich kann dich dort lassen. Deine Macht war endlich.
Das begreife ich aber auch erst jetzt.

Vor einigen Wochen habe ich das allererste Mal in meinem Leben etwas Schönes von dir geträumt. Es war eine Abschiedsszene. Dein Gesicht war freundlich, zugewandt. Ohne Hass, ohne Bitterkeit. Du entferntest dich von mir und ich war lange unschlüssig, was ich tun sollte. Du warst so freundlich. Echt. Authentisch. So kannte ich dich nicht. Und irgendwie wusste ich, dass dies ein Abschied für immer sein würde. Also richtete ich mich irgendwann auf und schrie: "Ich liebe dich!" hinter dir her. Worte, die mir in unser beider Leben nie über die Lippen gekommen sind. Aber ich brüllte sie aus tiefster Seele. So laut ich nur konnte. Du musstest sie einfach hören. Und ich glaube, das tatest du. Du hast gelächelt. Mich angelächelt. Wie es eine Mutter getan hätte. Dann warst du verschwunden und ich blieb zurück.

Wo auch immer du nun bist, ich wünsche dir vor allem eines: Frieden.
Und dass du loslassen konntest, was dich innerlich zerfressen hat.

Kati 22.11.2019, 18.00 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Einundvierzig

Am Samstag war es soweit - ich hatte Geburtstag!

Da ich mich immer noch von einer über drei Wochen andauernden Krankheit erhole, gingen wir es ruhig an. Lieblingskuchen zum Frühstück, Geschenke auspacken, Faulenzen.

Ein wenig konnte ich bereits mein Lieblingsgeschenk ausprobieren - den lang ersehnten Elektrotacker. <3 

Es war herrlichstes Herbstwetter - alle Blätter verfärbt, strahlender Sonnenschein, warmer Wind. Und so nutzen wir die Gelegenheit zu einem ausführlichen Spaziergang mit den Hunden auf dem Berg durch Wiesen und Felder.

Alles in allem der schönste Tag seit langem mit der Sehnsucht, bald endlich wieder mehr unternehmen zu können.

Kati 28.10.2019, 18.00 | (0/0) Kommentare | PL




Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.


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