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Thema: Gedankenchaos

Scheideweg

Natürlich weiß ich, was ich tue.
Ich nehme mir ein Stück meiner Außenregulation weg.
Mich öffentlich sichtbar zu machen, mich stetig in meinen Handlungen zu hinterfragen, alles immer von allen Seiten so zu betrachten, dass ich zwar in der Verletzlichkeit und im Grau bleibe, aber nur soweit, dass ich die Maske der Zivilisation noch aufbehalte, hilft mir mein Leben so zu leben, wie es richtig ist. 

Ich habe kein Gefühl dafür, was richtig und falsch ist. Ich habe das mühsam erlernen müssen. Meine moralischen und ethischen Maßstäbe sind ein auswendig gelerntes und stetig intern diskutiertes intellektuelles Konstrukt und ich weiß das gut.
Ich kann den inneren Spott körperlich fühlen, der mich durchflutet, während ich das hier schreibe.

Wir sind alle nur Tiere.
Unser Neocortex ermöglicht uns das, was wir Zivilisation nennen, aber es braucht weiß Gott nicht viel, in einem Menschen nur noch das Stammhirn leuchten zu lassen.

Der Tanz auf meinem ganz persönlichen Vulkan ist, die obere Gehirnregion ein ganz kleines Stück loszulassen, um ins Gefühl zu kommen. Ins echte Gefühl, das nicht gleich von Verzweiflung überschwemmt wird und mich eine Etage tiefer rutschen lässt. Gefühl ist für mich immer auch Hilflosigkeit.

Der morgendliche Ausbruch in Tränen zeigt mir zumindest, dass ich auf dem richtigen Weg bin, auch wenn ich noch nicht weiß, worum ich weine.

Kati 14.03.2023, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Für mehr Grau

Ich mache das gut.
Ich bin hier.
Ich laufe nicht weg.

Der Drang nach dem Abschluss meines momentanen Lebens und einem Neubeginn in absoluter Anonymität ist aktuell stärker denn je. Ich habe gestern nicht meine Koffer gepackt, unsere Konten leergeräumt, die Hunde und Tourbus genommen und bin nicht einfach weit weg gefahren. Ich habe nicht meine gesamte Internetpräsenz gelöscht, habe nicht die Gilde aufgelöst und meine Notfall-Sicherheitsalternativen aktiviert.

Ich bin noch da.
Der Drang nach dem Schwarz und dem Weiß ist so stark. Es frisst mich auf. Ich muss unterscheiden können, was richtig und was falsch ist, es darf keine Zweifel, keine Zwischentöne, keine Abstufungen, nur diese beiden Extreme geben. Extreme bieten innere Sicherheit, immer. Ist etwas nicht ganz richtig, ist es automatisch falsch. Hat etwas Gutes einen Makel, ist es schlecht.

Ich kenne meine Mechanismen, natürlich. Habe in den vergangenen Wochen erstmals wieder über Medikation nachgedacht, die mich in der verhassten mittelmäßigen Tristesse der tablettenförmigen Gehirnregulierung hält und alles nur noch als mittelschlimm, mittelgut, mittelschlecht empfinden lässt und verglichen mit meinem strukturellen Gefühlsempfinden mein Leben etwa so aufregend wie eine Scheibe Toastbrot erscheinen lässt. Ich weiß aus bitterer Erfahrung, dass gerade diese Regulation mich hoffnungslos macht, weil mein Leben in seiner gefühlt gleichförmigen Glückseligkeit sinnlos erscheint. Ich verschwinde, jeden Tag ein bisschen mehr, bis irgendwann die Teile übernehmen, die darauf nicht ansprechen.

Das Wissen darum, dass ich Ärzte habe, die mir jederzeit alles Vertretbare möglich machen, schafft etwas Erleichterung, immer einen Tag weiter ohne sie zu schaffen. Ohne Schlafmittel, ohne Beruhigungsmittel, ohne Betäubung, ohne Beeinflussung meiner Gehirnchemie.

Fünf Jahre ist es her, dass ich diese Instanz zum letzten Mal betreten habe und es war ein harter Weg, da wieder rauszukommen. Ich fühle mich noch nicht verzweifelt genug dafür.

Aber ich brauche mehr Grau.
Es ist das, was ich am wenigsten will und das, von dem ich weiß, dass ich es am nötigsten brauche.
Es ist okay, wenn es sich gerade alles nicht gut anfühlt.
Es ist okay, wenn ich weglaufen will. Ich muss es nicht tun.
Es ist okay, wenn die schwarzweißen Gedanken kommen, ich muss mich nicht für eine Seite entscheiden.

Ich darf im Grau bleiben.

Kati 14.03.2023, 08.00 | (0/0) Kommentare | PL

Stephan.

Die Nacht war hart. Alles mit den Träumen der Babys ist hart. Heute war es zwar mein Eigenes, aber es sah aus wie Stephan. Er war es. Und er war es wieder nicht. Ich habe ihn schreien gehört, wie jede Nacht, aber diesmal war das kombiniert mit einer der Feuerübungen, die ich machen musste, ich war also wieder in dem verqualmten Raum in dem schwedischen Haus eingeschlossen, aus dem ich mich befreien musste, weil mein Vater die Abzugsklappe des Kamins im Zimmer nebenan zumachte, dann Feuer entzündete aber statt nur mich selber retten zu müssen, schrie ununterbrochen das Baby, von dem ich nicht wusste, wo es sich befindet.

Die letzte Übung dieser Art ist jetzt fast 3 Jahrzehnte her, Stephan noch mal viele Jahre weiter zurück und trotzdem…
Zumindest die Erinnerungen an den Traum verblassen mit zunehmendem Tageslicht, die Echten bleiben mir erhalten.

Mein Vater liebte die psychischen Versuchsaufbauten. Es faszinierte ihn zeitlebens mehr als jede andere Kategorie. Wie lange hält ein Kind Schmerzen aus, wenn man ihm den Ausweg gibt, es in Ruhe zu lassen, wenn es selber stattdessen einem anderen Wesen Schmerzen zufügt? Wie weit kann man das steigern? Wie lange muss man eine Fünfjährige foltern, deren einziger Ausweg ist, dasselbe einem Baby, einem geliebten Tier, einem Gleichaltrigen anzutun?

Ich weiß nicht, was mit Stephan ist. Aber ich kann seine Schreie hören. Immer.

Kati 13.03.2023, 08.02 | (3/1) Kommentare (RSS) | PL

Rückwärts

Vielleicht habe ich inzwischen die Einsicht erlangt, dass mit deinem Tod etwas angestoßen wurde, das ich weder lenken noch aufhalten kann. Und um ehrlich zu sein: Ich möchte das nicht. Ich mag die Erinnerungen nicht sehen, ich mag die Veränderungen in unserer Persönlichkeitsstruktur nicht, ich diffundiere; und dort, wo immer harte Grenzen waren, leuchten nun pulsierende bunte Durchgänge, durch die ich nur gehen müsste, wenn ich wollte. Ab und zu schwappt von einem Raum etwas in einen anderen, was dort überhaupt nicht hingehört und ich bin den Großteil meiner Zeit damit beschäftigt, Lücken im Tagesablauf zu verstehen. Ich möchte das nicht mehr. Zweifelnde und ablehnende Gefühle, die nie meine waren, vermischen sich nun mit der klaren Liebe und Vorstellung meines aktuellen Lebensentwurfs. Umwälzung, von Innen, die meiner Befürchtung nach bald das Außen erreichen wird. Der Kopf weiß um meine Entscheidungen, um 18 Jahre Beziehungs- und Familiengestaltung und doch flammt Abwehr von ganz tief unten auf. Mit jeder Erinnerung, mit jeder meiner Schwächen nimmt sie mehr Raum ein, greift um sich, erobert sich Platz und Macht. Zurück? Ich weiß es nicht. Habe ich Angst um meinen Platz? Ja. Vermutlich. Natürlich. Ich bin das Operating System. Was, wenn ich stürze?

Kati 12.03.2023, 08.27 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Warum?

Warum lösen sich gerade so viele Dinge aus ihren verfickten Ankern? Warum kommen so viele Erinnerungen, gut gesichert und mit jahrelanger Hilfe und beschissen harter Arbeit weggepackt, wieder nach oben geschwommen? Warum immer in den unpassendsten Momenten? Warum kickt ausgerechnet jetzt gerade die Vergangenheit an jedem Tag? Warum ausgerechnet, wenn ich gerade das Gefühl habe, wieder minimal atmen zu können? Warum?
Ich kann und ich will nicht mehr. Ich hab mir das nicht ausgesucht und stehe an manchen Tagen gefühlt nur deswegen auf, um gegen die Erinnerung anzukämpfen, was mir angetan wurde. Ich habs so satt. Ich kann Gefühle kaum noch ertragen. Öffne ich mich einem, kommen sie alle. Ich kann nicht mehr.

Kati 07.02.2023, 12.53 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Der Sabotagefaktor

Ich weiß nicht ganz genau, warum ich misslungen bin. Ich ahne es aber, inzwischen. Nach Jahrzehnten Therapie, Supervision, eigenem Studium, Selbstreflexion.

Und was mich daran fast amüsiert, ist, dass mein Vater, der meine Programmierung so akribisch geplant und überwacht hat, dass keine menschliche Schwäche ihm von außen einen Strich durch die Rechnung machen würde, an genau diesem Punkt scheiterte: An der Schwäche meiner Mutter. 

Ich vermute, dass er Vieles mit eingeplant hat, aber nicht die sein Kind sexuell missbrauchende Ehefrau, die sein Projekt über Jahre heimlich mit ihren eigenen Obsessionen sabotiert hat. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mein innerer Systemaufbau in völlig unkontrollierten Bahnen verlief, die er durch die vermeintlich sichere Umgebung zuhause bei meiner Mutter nie hätte vorhersehen können. 

Meine Mutter, die immer wieder neue Krankheiten, Symptome und Schwierigkeiten erfand, damit ich vor ihren Augen nackt von fremden Ärzten untersucht werden konnte und sie dies zuhause im Rahmen ihrer „Behandlung“ mit mir nachspielen konnte, aber ohne, dass mein Vater etwas davon erfahren würde, er sollte sich ja schließlich keine Sorgen machen. Das ging lange Jahre gut. Sehr lange Jahre. War ich mit meinem Vater zusammen, war ich vor meiner Mutter sicher und egal, was er getan hat, er hat mich nie - nicht ein einziges Mal - in sexueller Weise berührt oder betrachtet. Vielleicht mag das absurd klingen in Anbetracht dessen, was mein übriges Lebenstraining war, aber der Verrat meiner Mutter wog für mich immer so unendlich viel schwerer. 

Es ist schwer für mich, das in Gänze anzufassen, ohne in den Strudel zu geraten, weil so vieles im Verborgenen liegt. 

Das ist okay. Ich habe gelernt, die Angst, was irgendwann hochkommen könnte, auszuhalten. Es ist wie es ist und es wird, wie es sein soll.

Wir waren im Garten, als ich das erste Mal mit meinem Vater über meine Gefühle sprach. Darüber, dass ich nicht mag, wie Mama mich anfasst. Dass ich versuche, sie abzuwehren, aber sie nicht aufhört.
Ich weiß nicht, ob er schon damals verstand, dass sein Projekt scheitern würde und dass dafür zu einem nicht unerheblichen Teil die Frau verantwortlich war, die er nach Intelligenzquotient und genetischer Veranlagung auswählte und für geeignet hielt, seine Gene weiterzugeben. 

Er machte oft Witze darüber, dass sie mit ihren gerade mal knapp über 140 IQ-Punkten das Dummerchen der Familie war, aber er sie ja ausgleichen würde. Aber ihre Olympia-Teilnahme, der Körperbau, die Genetik, das konnte er nicht kleinreden. Das war das Pfund, mit dem sie wuchern konnte.

Dass sie ein pädophile Narzisstin war, gereichte uns vermutlich beiden zum Nachteil.
Ich habe irgendwann angefangen, ihre Hand mit aller mir verfügbaren Kraft wegzuschlagen und wegzulaufen. Habe mich verweigert, wurde dafür mit Schweigen und Verachtung gestraft. 

Als ich weggelaufen bin, nachts frierend und weinend und meinen Traum aus den Büchern träumte, dass man mich suchen und finden und mit Liebe willkommen heißen würde, habe ich nach einigen Tagen und Nächten eingesehen, dass nichts davon passieren würde.
Man hatte keine Polizei verständigt, man hatte sich keine Sorgen gemacht, meine Rückkehr wurde mit verächtlichem Schnauben quittiert.

Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn meine Mutter nicht ihr eigenes „Projekt“ mit mir am Laufen gehabt hätte? Wenn ich bei zwei Menschen aufgewachsen wäre, die weniger Geheimnisse voreinander gehabt hätten und weniger mit ihren eigenen seelischen Untiefen beschäftigt gewesen wären? 

Ich wäre vielleicht genauso perfekt geworden wie H..
Wir mussten so oft gegeneinander antreten, standen uns in nichts nach, aber in ihr entwickelte sich irgendwann das Projekt Elitemensch zum Selbstläufer. In mir nicht.

In mir nicht.

Kati 02.02.2023, 14.40 | (1/0) Kommentare (RSS) | PL

Die Filmspulen

Meine gesamte Kindheit ist auf Film, Dias, entwickelten Bildern und in Tabellenform festgehalten. Minutiös. Ich habe Dokumente, die besagen, wann ich wieviel Milch getrunken habe, wann welches Kindermädchen für mich zuständig war, selbst bei meiner Geburt gab es eine Tabelle zum Ankreuzen, wieviel Zentimeter, wieviel Gewicht und welcher der zwei männlichen und zwei weiblichen Namen nun gewählt wurde. Hinter der Geburtskarteikarte findet man ein gedrucktes Blatt, das mir die Wochentage meines Geburtstags auf 100 Jahre voraussagt. In den Jahren danach häufen sich Gewichts- und Messtabellen, Fähigkeiten, Auffälligkeiten, körperliche Eigenschaften, durchgemachte Kinderkrankheiten mit Fotos vom Krankheitsverlauf, alles immer Ganzkörperfotos, nackt, schreiend, weinend, behandelt werdend. Irgendwann wird diese Dokumentenreihe abgelöst durch IQ-Testergebnisse, Fotos, Zeitungsartikel, Haufenweise Notizbücher mit Tabellen zu Versuchsreihen und Inhalten, die sich mir nicht erschlossen haben.

Eine Besonderheit hierbei sind die Filmspulen. Wir hatten so viele davon. Die Filme haben wir uns bei Dia-Abenden manchmal noch angesehen. Meistens zeigten sie mich in Urlauben, beim Bootfahren, beim Wasserski, beim Angeln, beim Jagen, im Schwimmtraining, im Wald, beim Ausweiden von Tieren, beim Überlebenstraining. Einmal sogar auf einem Spielplatz in Frankreich mit ganz vielen Menschen, die mich offensichtlich kannten und vertraut mit mir umgingen, die ich aber nicht zuordnen konnte.

Als wir ins große Haus zogen, war ich noch deutlich länger alleine als vorher schon und wenn ich mittags aus der Schule kam, dann hatte ich noch 5 Stunden vor mir, bis jemand kam.

Ich durchsuchte vor Langeweile im Laufe der Monate also neugierig unseren gesamten Besitz.
Das meiste davon war nur minder interessant. Die Pornosammlung meiner Mutter, die meines Vaters, die Sexspielzeuge, die Untiefen der Charaktere meiner Eltern.

Irgendwann kruschte ich auf dem Mini-Dachboden des Hausvorbaus herum, ganz hinten, wo die verschlossenen und zugeklebten Kisten standen. Und da waren sie. Kisten voll mit Fotos, mit Dias, mit Büchern, mit Filmspulen. Unbeschriftet. Was in unserem Haushalt ganz und gar ungewöhnlich war. 
Ich fand Bücher über die Entwicklung des Gehirns bei Babys und Kleinkindern, psychologische Abhandlungen über psychische Störungen und Strukturen, für mich damals noch kein Puzzleteil, nur unbedeutendes Zeug.

Aber die Filmspulen. Die musste ich mir ansehen. Zu meinem Erstaunen waren es Filme mit dem Mädchen, mit dem ich aufgewachsen war. „Katinka, Katinka!“, konnte ich ihre Stimme förmlich hören, als die Bilder zu laufen begannen, selbst ohne Ton. Wir waren die ersten Jahre unseres Lebens jeden Tag zusammen gewesen, in jedem Urlaub, mehr als beste Freundinnen, mehr als Schwestern, mehr als Gefährten. Sie war ich, ich war sie.

Und es war noch jemand auf den Spulen zu sehen. Jemand, der aussah wie ich.

Ein Mensch, der exakt mein Aussehen besaß und fremder nicht hätte wirken können.
Nach dem ersten Ansehen legte ich alles ordentlich weg, baute die Apparatur zurück, nahm die Leinwand ab, verschloss die Kisten sorgfältig wieder und verdrängte, was ich gesehen hatte.

Einige Jahre später habe ich die Kisten wieder geöffnet. Aber es wurde nicht vertrauter. Dieser Mensch sah aus wie ich.
Aber er war nicht ich. Er hatte Spaß am Quälen. Er hatte Spaß am Leid anderer. Er zuckte nicht zusammen, als die Peitsche kam. Nicht, als der Stock kam. Nicht, als die anderen gequält wurden. Das Gesicht, das ich jeden Tag im Spiegel sah, flimmerte dort völlig ausdruckslos über die Leinwand. Ich konnte weder so schnell rennen noch konnte ich so präzise schießen. Ich wäre beim unter Wasser drücken schon längst in Panik geraten, ich hätte schon geweint, als ich das kleine Tier gesehen hätte, das war definitiv nicht ich.

Das war ein Monster.

Aber es war in meinem Körper.

Kati 01.02.2023, 17.38 | (0/0) Kommentare | PL

Umwälzung

Ich muss weg von Menschen, wenn der destruktive Zynismus überhandnimmt. Will sie demütigen, beschämen, kleinmachen. Kann nichts Positives mehr beitragen, will sie auf ihre Angst reduzieren, um mich besser zu fühlen. Es ist schwer, den Teil von mir willkommen zu heißen, der so viel Zerstörungspotential birgt. Nicht die Kontrolle verlieren, nicht nachgeben, zusammenhalten, was mit aller Kraft seine Spaltung offenbaren will. Ich merke seit Monaten, dass ein unumkehrbarer Prozess in Gang gesetzt wurde, der alles auf den Prüfstand stellt, was ich als in Stein gemeißelt betrachtet habe. Ich will das nicht. Ich mag keine Umwälzungen, ich mag keine Veränderungen, ich liebe den Status Quo, ich mag Berechenbarkeit, Stabilität und Vorhersagbarkeit. Über alle Maßen. Und nun rüttelt ausgerechnet das Innen an den Mauern meiner Festung. Bin nur ich es, die mein Leben als ideal betrachtet? Wem tue ich Unrecht, wenn ich meinen Alltag so lebe, dass er mir gut tut? Wir haben Regeln, aber wessen Regeln sind es? Wo endet meine Macht über ein System, das sich niemandem mehr beugen muss?

Kati 30.01.2023, 09.41 | (2/0) Kommentare (RSS) | PL

Erschöpft

Ich brauche mehr Zeit.
Ich fühle, wie alles in mir heilen will, sich dem stellen will, was mich die letzten Monate zerrissen hat, aber ich brauche dafür Zeit in meiner Einsamkeit.
Es ist fast ein Ding der Unmöglichkeit, hier wirklich alleine zu sein.
Aber alles in mir drängt danach, im Schutz meiner Mauern loszulassen, abzugeben, mich fließen zu lassen.
Ich darf nicht.

Das enge Zeitfenster von einigen Stunden am Morgen wird durch den Alltag boykottiert, schrumpft auf einen Bruchteil dessen, was ich benötige, um überhaupt funktionieren zu können. An Tagen, an denen Kinder später das Haus verlassen, früher nach Hause kommen, frei haben, ist es kaum möglich, mich rechtzeitig wieder einzusammeln, also bleibe ich im Alltagsmodus, sehnsüchtig an ein Quäntchen weniger Disziplin im Gehirn denkend.
Ich schaffe nicht viel.
Ich bin damit beschäftigt, mich zusammenzuhalten.
Dem Drang zu widerstehen, alles kurz und klein zu schlagen, zu wüten, mein Leben einfach hinter mir zu lassen und aufzubrechen.
Irgendwohin, wo mich niemand kennt, mir niemand wehtun kann, ich niemanden liebe, nicht in dieser verdammten Verletzlichkeit bleiben, sondern einfach nur noch existieren muss.

Kati 24.01.2023, 12.00 | (0/0) Kommentare | PL

Von Körpern, vom Altern, von der Liebe

Ich war fünf, als ich das erste Mal meine Mutter weinend im Keller fand.
Und ich wusste mit dem gesamten Instinkt eines Kindes, worum es geht. Es wurde nie ausgesprochen. Ich hab sie geliebt. Pia. Eine so herzensgute Frau, die mich durch die Chemielabore der Universität führte und auf mich aufpasste, wenn mein Vater beschäftigt war. Schwarzer Wuschelkopf, dunkelbraune Augen, die Anmut und Eleganz in Person und dabei so unglaublich zugewandt. So warmherzig. Alles, was meine Mutter nie war.

Ich kann mutmaßen, warum er sich in sie verliebt hatte. Aber ich weiß es nicht. Denn wir sprachen ja nicht über diese Dinge. 35 Jahre später sollte ich von meiner Großmutter erfahren, dass „das junge hübsche Ding mit den schwarzen Locken“ dafür verantwortlich war, dass wir damals so weit weg zogen. Mal wieder.

Ich bin inzwischen in dem Alter, in dem meine Mutter mit ihren Schönheitsoperationen begann. Nach endlosen Diäten, die ich allesamt mitmachen musste, begannen mit meiner Pubertät ihre Besuche bei führenden Schönheitschirurgen.
Ich war überall dabei.
Der unnachsichtige schwarze Edding auf der nackten Haut meiner Mutter kombiniert mit den kühlen Bemerkungen über Ästhetik und Machbarkeit ließ mich schnell begreifen, dass eine Frau vor allem dünn und straff zu sein hatte.
Das Ideal meines Vaters, dem sich die gesamte Welt unterordnen musste.

Meine Mutter nahm ab und nahm wieder zu und wieder ab, es war ein täglicher und endloser Kampf um Kalorien, in den vor allem ich mit einbezogen wurde.

Ich habe eine Tante - die Schwester meiner Mutter - die immer unglaublich dick war. Ihr Mann - mein Onkel - ist ein muskulöser Mann, der seine Frau und ihren Körper vergöttert. Alles, was ich in Kindheit und Jugend im Positiven über sexuelle Anziehungskraft gelernt habe, habe ich in dieser Beziehung sehen dürfen.
Dieser Blick, wie er nur Augen für meine Tante hatte, sie anhimmelte und bewunderte und ihr immer und zu jedem Zeitpunkt zu verstehen gab, dass sie körperlich und geistig seine absolute Traumfrau sei.

Bei längeren Aufenthalten der Beiden bei uns führte das zu einer nicht unerheblichen Menge an Spannungen.
Eines Abends, als mein Vater schon wieder einiges getrunken hatte, wurde ihm die Turtelei der beiden zu viel und er stand schnaubend auf.

Geklapper aus dem Arbeitszimmer und er kam kurz darauf mit einem Stapel Playboys wieder, den er vor der gesamten Familie auf den Wohnzimmertisch knallte. „SO!“, brüllte er, „SO SEHEN RICHTIGE FRAUEN AUS! NICHT WIE DIE FETTBERGE, DIE HIER GERADE SITZEN!“.

Ich kannte die abfälligen Bemerkungen über meinen pubertären Körper, den mal dünnen, mal dicken Körper meiner Mutter und den immer kompromisslos weichen Körper meiner Tante, aber dieser Moment hatte eine Intensität, die im Laufe der nächsten Jahre noch zunahm.
An diesem Abend zerbrach sehr viel in sehr vielen Menschen.

Ich bin 44, übergewichtig, habe Falten, meine Brüste hängen, ich habe 9 Kinder in meinem Körper getragen, er hat zahlreiche Narben, hat meine Verletzungen und Brüche heilen lassen und gibt all meinen Anteilen ein Zuhause.
Er ist kräftig, stark und er trägt mich.

Mein Mann lässt seit 18 Jahren keinen Zweifel daran, dass ich die schönste, attraktivste und erregendste Frau dieser Welt für ihn bin. Ich lege meine Hand generell nicht für Menschen ins Feuer, aber diese körperliche Anziehungskraft zwischen uns ist etwas, das so unumstößlich in meiner Selbstbetrachtung verankert ist, dass ich nicht zweifle.

Als meine Mutter 44 war, waren nach Bauchdecke und Oberschenkeln gerade die Brüste dran. Ich musste die Wundversorgung zuhause machen und ihre körperliche Übergriffigkeit nahm durch die bei der medizinischen Versorgung notwendige Nähe wieder zu. Mein Vater kommentierte das ganze Operationsprozedere in denkbar destruktivster Weise und war in dieser Zeit mit seiner Sekretärin äußerst beschäftigt.

Ich erinnere mich nach den depressiven Tiefpunkten, in denen sie mich sexuell überhaupt nicht in Ruhe ließ, an sehr euphorische Phasen, als alles schön hochgeschnallt und verheilt am Körper stand - denn hängen konnte ja nichts mehr - und ihre exhibitionistische Ader völlig aus dem Ruder lief, egal, ob es sich um Väter von Freundinnen, Lehrer oder um den Obstverkäufer handelte.

Das war dann auch die Phase, in der ich mit ihr alleine auf Reisen gehen musste. Wir durchquerten ganz Europa. Und egal, ob Italien, Frankreich oder Monaco, die zur Schau gestellte verzweifelte Körperlichkeit einer alternden reichen Frau lockt nicht die Art von Männern an, denen man abends im Dunkeln begegnen möchte

Ich weiß noch gut, wie wütend sie wurde, als ich am Mittelmeer von einem erwachsenen Mann massiv sexuell belästigt wurde, weil ich doch schließlich nicht so attraktiv war wie sie. Wie konnte er es wagen, mich zu belästigen, wenn doch sie da war?
Der Hass, mit dem sie mich anklagte, kokettiert zu haben, um SIE auszubooten, öffnete eine ganz neue Dimension an Schuldzuweisungen.
Der Absurdität waren in diesen Jahren kaum Grenzen gesetzt.

Was macht das also heute mit mir? Manchmal betrachte ich meinen Körper und sehe Gemeinsamkeiten, die mir das Blut in den Adern gefrieren lassen.
Nicht nur, dass ich ihr im Gesicht äußerst ähnlich sehe, auch mein Körper weist einige Ähnlichkeiten auf. Ich sehe jeden Tag meinen eigenen Täter im Spiegel.

Ich bemühe mich, mich in diesen Momenten durch die Augen des Mannes zu betrachten und das bedeutet, so viel Liebe in meinen Blick zu legen, dass die Erinnerung an Macht und Ekel verliert.

Körperlichkeit bedeutet in unserer Familie Geborgenheit, Liebe, Wärme.
Ein Körper muss keine bestimmte Form haben, nicht auf eine bestimmte Art und Weise aussehen, nichts leisten, um dafür wertgeschätzt zu werden, dass er uns durchs Leben trägt.

Ich musste das erst lernen und der Weg war mühsam.
Bei mir selber gelingt diese Betrachtungsweise noch nicht immer, aber besser, je älter ich werde.

Ich werde meinen eigenen Weg finden, so zu altern, dass ich - und nur ich - damit gut leben kann.

Kati 23.01.2023, 15.02 | (5/0) Kommentare (RSS) | PL



Das Tragische an diesem Leben ist nur, dass es auf einer wahren Geschichte beruht.

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